Show Notes
⬅ Back

Hinrichs, politische Vorlesungen. Band I

Deutsch

Author: Bruno Bauer  Year: 1843  Mentioned in: The Holy Family (Chapter VI, 1c 'Hinrichs No. 1. Mysterious Hints on Politics, socialism and Philosophy') 

§1 „Es scheint so, als wenn unsere Zeit sich politisch weiter entwickeln will, sagt Herr Hinrichs in der ersten dieser politischen Vorlesungen. Da sollten besonders unsere Gelehrten politischen Sinn haben u. s. w. — es folgen einige Phrasen — ... Aber sie sind leider Kosmopoliten, die sich für Alles eher interessiren, als für Politik. Sie wissen Bescheid in der ganzen Welt, nur nicht bei sich zu Hause.“
§2 Wir können Herrn Hinrichs sehr leicht eines Bessern belehren und seine Phrasen vielleicht sogar in seinen Augen selbst um allen Credit bringen. Die Gelehrten — offenbar meint er doch vor Allem die Universitäts-Gelehrten, die ihm selbst indem er sie anklagt, das Höchste in der ganzen Welt sind, — die Gelehrten sollten keinen politischen Sinn haben, sie sollten sich nicht für Politik interessiren? Wer ist im Stande, die neuankommende Nummer der früheren Staats-Zeitung mit lebhafterer Wißbegierde in die Hände zu nehmen als ein Gelehrter?
§3 Die Gelehrten wären Kosmopoliten? Solche Schwärmer waren sie im achtzehnten Jahrhundert — da Herr Hinrichs in den folgenden Vorlesungen die ganze Weltgeschichte mit der Vertrautheit durchläuft, mit der ein großer Herr durch die Säle seines Schlosses promenirt, so hätte er im Eingang seines Werkes sich vor einem solchen Fehltritt achtsamer hüten sollen — der Kosmopolitismus ist eine Erscheinung, die allein dem achtzehnten Jahrhundert angehört: die Gelehrten unserer Zeit, welche dem amtlichen Theil der inländischen Zeitungen ein tägliches eifriges Studium widmen, haben ganz andere reellere Interessen als die Phantasten, die vor ihnen auf ihren Lehrstühlen gesessen haben.
§4 Das größte Unrecht hat aber Herr Hinrichs seinen Collegen angethan, wenn er ihnen vorwirft, sie „wüßten Bescheid in der ganzen Welt nur nicht bei sich zu Hause.“ Der Kritiker hat dagegen alles Recht dazu, die Aufgabe zu stellen, daß man ihm auch nur Eine die Cultur und Entwicklung der Menschheit betreffende Frage nenne, die unsere Gelehrten von Profession gelöst hätten. Wo, Herr Hinrichs, wissen unsere Gelehrten Bescheid? Wo ist der Eine, der einzige Punkt, wo der freie Kritiker nicht erst die Frage, mit deren Lösung man sich bisher vergeblich beschäftigt hat, richtig zu stellen hätte?
§5 Und „es scheint so, als ob unsere Zeit sich politisch weiter entwickeln will?“ Ein schlimmes Zeugniß dieses „es scheint so!“ Ein schlimmes Zeugniß gegen einen Gelehrten, der seinen Collegen einen Vorwurf daraus macht, daß sie überall anders nur nicht bei sich zu Hause Bescheid wissen — gegen einen Gelehrten, der die ganze Weltgeschichte übersieht und die Formeln, auf die sie nach seiner Ansicht zurückzuführen ist, an den Fingern abzählt! „Es scheint so, als ob...“? Das ist nicht die Rede des Mannes, der bei sich zu Hause Bescheid weiß! „Politisch?“ Wer der Entwicklung der neueren Zeit gefolgt ist und die Geschichte kennt, wird es auch wissen, daß die politischen Regungen, die in der Gegenwart vorgehen, eine ganz andere Bedeutung haben, als eine politische — sie haben im Grunde eine gesellschaftliche, die bekanntlich von der Art ist, daß alle politische Interessen vor ihr als bedeutungslos erscheinen.
§6 Wir werden an einigen wichtigen Punkten zeigen, daß Herr Hinrichs weder bei sich zu Hause noch sonst wo anders in der Welt Bescheid weiß — daß er nirgends zu Hause sein konnte, weil die Kritik, die in den letzten vier Jahren ihr keineswegs „politisches“ sondern gesellschaftliches Werk begonnen und betrieben hat, ihm völlig unbekannt geblieben ist. Seine Philosophie der Weltgeschichte, die er in vorliegendem Bande bis zur Restauration fortführt, ist ein unordentliches Zusammenwürfeln der bannalen Redensarten, die nun einen so ermüdenden Kreislauf durch alle Bücher der Hegelschen Schule gemacht haben, daß man hoffen darf, die Ermattung, in der wir sie in vorliegenden Vorlesungen antreffen, werde ihrer weiteren Reise bald ein Ziel setzen.
§7 „Wodurch wurde die Reformation hervorgebracht?“ fragt Herr Hinrichs. „Vor Allem, antwortet er p. 102, durch die innere Gewißheit und Freiheit des Geistes von sich selbst, die gegen alle Aeußerlichkeit in sich ging, das Wesen in sich (!) selbst suchte und fand (!) und in der Schrift (!) den Ausdruck dafür (!).“ Ich verweise auf die neueren Schriften, in denen das Princip der Reformation untersucht und dargestellt ist.
§8 „Friedrich II., sagt Herr Hinrichs p. 182, litt nichts Particuläres, sondern vernichtete es.“ Die kritische Untersuchung des achtzehnten Jahrhunderts kommt zu andern Resultaten; ehe dieselben Herrn Hinrichs bekannt werden, mag er zunächst den von dem Herrn von Carmer veröffentlichten Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches studiren und die eigenen Anmerkungen des genannten Herrn von Carmer selbst als Fingerzeig benutzen.
§9 Daß das Wort „Pathos“ in dem Buch eines ächten Hegelianers nicht fehlen darf, versteht sich von selbst: Herr Hinrichs hat er aber noch dazu sehr übel angebracht: Mirabeau ist ihm „das Pathos der Revolution“ (p. 200), Mirabeau ist ihm „der große Held der Revolution“ (p. 201) — also Mirabeau, der vom Hof erkaufte Mirabeau, Mirabeau der royalistische Mirabeau! „die Bastille wurde gestürmt, construirt und declamirt Herr Hinrichs (ebend.), Weiber führen die Kanonen nach Versailles... Mirabeau donnert, das ganze Volk proclamirt die Rechte der Menschen u. s. w.“ Ein Gelehrter, der in der Geschichte „zu Hause“ ist, der die Chronologie der Debatten über die Menschenrechte, der Mirabeaus Opposition während der Berathungen über die Menschen-Rechte kennt, würde den Bericht über die Octobertage wahrscheinlich etwas anders angeordnet haben.
§10 Sogleich im nächsten Satze nach dieser philosophischen Declamation über die Octobertage heißt es: „es folgt eine sogenannte Constitution“ — „hierin sehen wir die absolute Monarchie nicht mehr absolut“ — das ist Alles, was im nächsten Satz über eine Constitution gesagt wird, mit deren Vollendung das französische Volk sich fast noch zwei Jahre lang nach den Octobertagen beschäftigen mußte und die es nachher noch ein Jahr bis zum 10. August beschäftigte. Herr Hinrichs macht es sich aber leichter: „am 10. August 1792, an welchem Tage die erste Sitzung (!) des Convents (!) gehalten wurde, sagt er im folgenden Satze, hörte auch diese (die Constitution) auf“ – das französische Volk war froh, als es den Convent am 21. September in Sitzungssaale der bisherigen gesetzgebenden Versammlung zum erstenmale begrüßen konnte: Herr Hinrichs macht die Zeiten kürzer, weil er nicht Zeit hat, den Moniteur zu lesen oder die Geschichts-Compendien etwas genauer, als er gethan hat, anzusehen ihm kam es allein darauf an zu zeigen, daß er „politischen Sinn“ hat und nicht bloß ein „Gelehrter“ ist.
§11 Dem Referenten aber, der eben als Kritiker weiß, was es mit der bisherigen Gelehrsamkeit für eine Bewandtniß hat, der also auch das Seinige dazu thun muß, daß der Stolz der Unwissenheit auf eine gründlichere Weise bloß gestellt wird, wird man es nicht verdenken, wenn er es nicht für seine Aufgabe hält in der Arbeit eines einzelnen Gelehrten Seite vor Seite, Zeile vor Zeile jeden Schnitzer anzuzeigen. Er giebt nur noch Eine Probe der politischen Gelehrsamkeit und gelehrten Politik des Hegelschen Philosophen. „Die Freiheit hatte sich ohne Gesetz geltend gemacht„ sagt Herr Hinrichs (p. 210) von der Revolution bis auf Napoleon, „das ist das Ungeheuere der Revolution, daß man gar kein Recht will und die Willkühr proclamirt“ —— was aber in der That „ungeheuer“ ist, ist die Anstrengung des gesetzgebenden Corps, während der Bürgerkrieg und der Kampf mit Europa doch jedes Wort ist zu schwach gegen das „ungeheure“ Zeugniß des Moniteur. Dem Hegelschen Philosophien sind aber die Jahrgänge desselben zu schwer.
§12 Von politischer Bedeutung ist keine Rede mehr, wenn auf die wahre Tendenz der neueren Geschichte gesehen wird; aber gesellschaftliche Bedeutung wird den Gelehrten gewiß sein, wenn sie es dahin gebracht haben, daß sie wirklich etwas Ordentliches wissen.
⬅ Pauperismus Pauperismus ➡