§47
Nachdem die Kritik so oft den Beweis geführt hat, daß das religiöse Bewußtseyn des Juden zugleich ein nationales ist – ein politisches im wahren Sinne kann man kaum sagen – daß die jüdische Gemeinde nicht eine rein religiöse Vereinigung, sondern zugleich wesentlich eine Stammes Genossenschaft ist, bemüht man sich in neuerer Zeit auf jüdischer Seite damit zu helfen, daß man die Absicht ausspricht, das religiöse Element des Judenthums von allem nationalen Beisaß zu reinigen. So heißt es in der Anzeige der Holdheimischen Schrift (zur Judenfrage in Deutschland p. 168): „das vorhandene Politische im Judenthum muß losgetrennt werden, damit das wahrhaft Religiöse und Ewige darin feinen Einfluß geltend machen könne, die freie Bewegung im bürgerlichen Leben, der volle Anschluß an den Staat auch für die Juden möglich gemacht werde.“ Dieß „wahrhaft Religiöse und Ewige“ nennt Herr Holdheim (in der Vorrede zu seiner Schrift) das „Allgemein-Gültige“ im Judenthum. Allein gesezt den Fall, daß dies sogenannte Ewige, Allgemein-gültige, wir wollen sagen: die reine Religions-Kategorie aus dem Judenthum herausgezogen würde, so ist diese Kategorie ja nur das letzte Sublimat eines sehr bestimmten Standpunkts, des jüdischen Standpunkts, sie wird also immer noch der Ausdruck – wenn auch der allgemeinste, abstracteste Ausdruck – für die Bestimmtheit dieses Standpunkts seyn. Die Natur der Quintessenz kann unmöglich eine andere seyn, als diejenige, die den ausgepreßten Stoffen eigen war. Das Religiöse kann überhaupt nie als ein rein Allgemeines, als etwas vermeintlich Allgemein-Gültiges da seyn; die Versuche, eine allgemeine Wahrheit aufzustellen, werden nach dem geschichtlichen Standpunkte, nach der Form des Bewußtseyns, von welchem sie ausgehen, immer verschieden ausfallen und ein anderes Resultat zur Folge haben. — Niemand kann nämlich aus seiner Haut heraustreten, Niemand etwas Anderes erfahren als sich selbst, Niemand einen allgemeinen Satz aufstellen, der mehr umfaßt, als er im Einzelnen selber ist, weiß und erfahren hat — wollten daher die verschiedenen Religions-Partheien den Vorsatz fassen, den Vorsatz, welchen das Bewußtseyn ihrer Verschiedenheit nicht einmal zu einem wirklich ernsthaften werden lassen wird, den Vorsatz, aus ihren Religions-Systemen „das Allgemein-Gültige“ herauszuziehen, um darin ihren Einheitspunkt zu finden: sie würden doch nie zusammentreffen, da die Summe, die jede Parthei am Schlusse der Rechnung haben wird, immer nur soviel betragen kann, als der Schatz, über den sie in Wirklichkeit gebietet. Der Versuch, eine Durchschnitts-Formel aufzustellen, würde nur der Stoff zu neuen Streitigkeiten seyn; die Aushilfe, daß die eine oder die andere Parthei, um der andern gleichzukommen, ihre Summe declamatorisch übertriebe, würde kaum für einen Augenblick ausreichen. Doch setzen wir diesem Gerede über Unmöglichkeiten seine Gränze: jene Partheien schließen sich aus und werden sich immer ausschließen, weil sie sich in verschiedener Weise gegen die Interessen der Gesellschaft, so weit sie fähig sind, dieselben aufzufassen, und demnach zu perhorresciren, ausschließend verhalten. Ihr „Protest“ gegen dieselben wird demnach je nach dem verschiedenen Standpunkt der Gesellschaft und je nach ihrer Fähigkeit, dieselben aufzufassen, ein sehr bestimmter und demnach verschiedener seyn. Die gegenwärtig herrschende Bestimmtheit ist die Unbestimmtheit, mit welcher die neue Entwickelung der Gesellschaft selbst noch innerlich zu kämpfen hat und die sich nun auch als eine besondere äußere Macht gegen die Tendenz der Entwickelung richtet: aber auch diese Unbestimmtheit kann die bisher getrennten Partheien nicht vereinigen, da die Unbestimmtheit einer jeden je nach ihrer Verwicklung mit der Geschichte, also auch je nach ihrer Fähigkeit, die Tendenz der Entwicklung aufzufassen und zu fürchten, einen sehr verschiedenen Umfang und einen sehr verschiedenen Grad der Intensivität besitzt. —
[Notes for §47 here]