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Neueste Schriften über die Judenfrage. Band I

Deutsch

Author: Bruno Bauer  Year: 1843  Mentioned in: The Holy Family (Chapter VI, 1c 'Hinrichs No. 1. Mysterious Hints on Politics, socialism and Philosophy') 

§1 1) Die Judenfrage von Bruno Bauer näher beleuchtet von Dr. Gustav Philippson. Dessau, Fritsche und Sohn. 1843. S. 30.
2) Briefe zur Beleuchtung der Judenfrage von Bruno Bauer, von Dr. Samuel Hirsch. Leipzig, Hunger. 1843. S. 117.
3) Literaturblatt des Orients. 1843. Nr. 25 flgdd. (Recension der Judenfrage von B. Bauer und der Briefe von Hirsch.)
4) Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts. Herausgegeben von Dr. M. Heß. 1843. Nr. 4. 7. folgdd. (Anzeige der Judenfrage von B. Bauer.)
5) Dr. Gotthold Salomo, Bruno Bauer und seine gehaltlose Kritik über die Judenfrage. Hamburg, Perthes-Besser und Mauke 1843.
6) Ueber die Autonomie der Rabbiner und das Princip der jüdischen Ehe, von Dr. Samuel Holdheim. Schwerin, Kürschner (Berlin, Plahn) 1843. S. 263.
7) Zur Judenfrage in Deutschland; herausgegeben von Dr. Wilhelm Freund. Berlin, Veit und Comp. Erste bis vierte Lieferung. S. 228.
8) Darf ein Jude Mitglied einer Obrigkeit seyn, die über christliche Unterthanen gesezt ist? von Treumund Wahrlieb. Siebente Auflage. Minden, Eßmann. 1843. S. 16.
9) Ueber die Möglichkeit der Juden-Emancipation im christlich germanischen Staat, von H. E. Marcard. Minden, Eßmann. 1843. S. 69.
u. s. w. u. s. w.
[Notes for §1 here]
§2 In einer Zeit, in welcher unter allen Völkern eine Menge gescheiterter Existenzen von der Schwäche menschlicher Vorsätze und Absichten Zeugniß ablegen und die Armuth der bisherigen Weltbildung sich in aufgespreizten Worten und in Vorschlägen verräth, die überall anders nur nicht in dieser Welt ihre Ausführung finden können, muß man sich fast schämen, mit dem Bewußtsein eines soliden Willens aufzutreten oder gar ein ausgeführtes Werk in die Oeffentlichkeit hinzustellen.
[Notes for §2 here]
§3 Eine der ausgebreitetsten jener gescheiterten Existenzen ist die Masse — die Masse in jenem Sinne, in welchem das Wort auch die sogenannte gebildete Welt umfaßt — dieselbe Masse, deren Einfluß und Wirksamkeit dann am heilsamsten genannt werden müssen, wenn sie dazu beitragen, daß ein gediegenes Werk so gut wie nicht da ist. Das schlimmste Zeugniß gegen ein Werk ist der Enthusiasmus, den ihm diese Masse schenkt.
[Notes for §3 here]
§4 Die Niederlage, welche dieser massenhafte Held in der lezten Zeit erlitten hat, war ein schlagender Beweis seiner inneren Schwäche, seiner Muthlosigkeit und seiner nußlosen Poltronnerie: es ist nur zu wünschen, daß sie wirklich entscheidend war und daß die Lehre, die sie enthält, ihre richtige Aufnahme und Anwendung finde.
[Notes for §4 here]
§5 Noch vor wenig Monaten glaubte sich die Masse riesenstark und zu einer Weltherrschaft bestimmt, deren Nähe sie an den Fingern abzählen zu können meinte. War sie doch im Besitz so vieler Wahrheiten, die sich ihr so sehr von selbst verstanden, daß sie keines Beweises, keiner Prüfung, keines Studiums zu bedürfen schienen. Der Kritiker, der sich um Beweise bemühte, gab sich in ihren Augen eine nuzlose Mühe — eine Mühe, an der sie also auch keinen Theil zu nehmen brauchte, deren sie sich leicht überheben durfte und die weit unter ihrem erhabenen Standpunkte lag. Alles verstand sich ihr ja von selbst.
[Notes for §5 here]
§6 Eine Wahrheit besitzt man aber zumal in der Epoche, wo sie sich Bahn brechen und durchkämpfen soll — erst wirklich und vollständig, wenn man ihr durch ihre Beweise hindurchfolgt: die Masse besaß also nicht einmal Wahrheiten, die ihr hätten entrissen werden können. Wer sich immer nur rühmt, er gehöre zu denen, die den Muth haben, eine Meinung zu hegen und sie auszusprechen, und bei alledem nur dabei stehen bleibt, diesen seinen Selbstruhm auszurufen, hat nicht einmal eine Meinung, die der Rede werth wäre, geschweige denn, daß er den Muth hätte, eine Meinung durchzuführen und geltend zu machen.
[Notes for §6 here]
§7 Wahrheiten, die sich am Ende von selbst verstehen, sind allerdings keine Kleinigkeit: die Geschichte hat ihre größten Anstrengungen darauf verwandt, sie geltend zu machen, und es sind im Ganzen genommen nur ein Paar solcher Wahrheiten, welche die Geschichte bis jezt beschäftigt haben: aber welche ungeheueren Anstrengungen und welchen Aufwand von Geist und Kraft hat es gekostet, auch nur Eine dieser Wahrheiten —— z. B. daß die Erde sich um die Sonne bewegt — für einen kleinen Theil der menschlichen Gesellschaft so weit sicher zu stellen, daß sie sich von selber versteht. Wozu wäre die Geschichte, wenn es nicht ihre Aufgabe wäre, gerade diese einfachsten aller Wahrheiten zu beweisen?
[Notes for §7 here]
§8 Wahrheiten aber, die der Masse so sonnenklar zu seyn scheinen, daß sie sich von vornherein von selber verstehen, Wahrheiten, die der Masse in dem Grade einleuchten, daß sie den Beweis für überflüssig hält, sind nicht werth, daß die Geschichte noch ausdrücklich ihren Beweis liefert; sie bilden überhaupt keinen Theil der Aufgabe, mit deren Lösung sich die Geschichte beschäftigt. Es gehört nur ein leichter Schlag dazu, um ihn mundtodt zu machen.
[Notes for §8 here]
§9 Die Masse ist zwar bisher immer in ihrer Weise d. h. in oberflächlicher Weise von den Wahrheiten berührt worden, welche die Geschichte auf's Tapet gebracht hat; gesetzt aber den Fall, daß eine sehr entscheidende Wahrheit, die durchaus nicht oberflächlich gefaßt seyn will, die vielmehr bis ins Innerste der menschlichen Seele hineingezogen und durch und durch erfahren werden muß, auftritt: wird dann nicht das Verhältniß der Masse zum geschichtlichen Fortschritt ein anderes, als es bisher zum Theil der Fall war, — ein völlig anderes, als es sich die Masse vor sehr kurzer Zeit selbst noch vorstellte? Ihre eigene Indolenz, Oberflächlichkeit und Selbstzufriedenheit, in der sie so eben noch sich an der Spitze des Fortschritts zu befinden glaubte, bedurfte nur eines unbedeutenden und ihr selber unerwarteten Schlages, um sich als den hauptsächlichsten Gegner des Fortschritts zu beweisen.
[Notes for §9 here]
§10 In der Masse — nicht anderwärts, wie ihre früheren liberalen Wortführer meinen, ist der wahre Feind des Geistes zu suchen.
[Notes for §10 here]
§11 Alle großen Actionen der bisherigen Geschichte waren deshalb von vorn herein verfehlt und ohne eingreifenden Erfolg, weil die Masse sich für sie interessirt und enthusiasmirt hatte — oder sie mußten ein klägliches Ende nehmen, weil die Idee, um die es sich in ihnen handelte, von der Art war, daß sie sich mit einer oberflächlichen Auffassung begnügen, also auch auf den Beifall der Masse rechnen mußte. Sie scheiterten, weil ihr Prinzip oberflächlich, also auch nicht gegen die Oberflächlichkeit der Masse gerichtet war.
[Notes for §11 here]
§12 Der Geist weiß jetzt, wo er seinen einzigen Widersacher zu suchen hat — in den Phrasen, in den Selbsttäuschungen und in der Kernlosigkeit der Masse.
[Notes for §12 here]
§13 Die von mir veröffentlichte Behandlung der Judenfrage ist ein Beweis von der Hohlheit der Declamationen, mit denen die liberale Parthei eine Frage behandelt hatte, deren wahre und allgemeine Bedeutung sie nicht einmal zu ahnen wußte; die Aufnahme, die meine Arbeit gefunden hat, ist der Anfang des Beweises, daß gerade diejenigen, die bisher für Freiheit gesprochen haben und noch jezt dafür reden, gegen den Geist am meisten sich auflehnen müssen und die Vertheidigung, die ich ihr jeßt widmen werde, wird den weitern Beweis liefern, wie gedankenlos die Wortführer der Masse sind, die sich wunder wie groß damit wissen, daß sie für die Sache der Emancipation und für das Dogma von den „Menschenrechten“ aufgetreten sind.
[Notes for §13 here]
§14 Man muß sich schämen, einen Satz aufzustellen, wenn man nichts als Phrasen zur Antwort zurückerhält. Doch um so nothwendiger ist die Beleuchtung dieser Antwort.
[Notes for §14 here]
§15 Meine Schrift konnte nicht in Sachsen erscheinen, weil die christliche Regierung, auf deren Censur es ankam, ihre Auffassung der Judenfrage, namentlich die Art und Weise, wie sie die Frage aus ihrer bisherigen beschränkten Fassung herausführte und als eine allgemeine faßte, anstößig fand; auf jüdischer Seite dagegen, wo man in jeder nur einigermaßen vorurtheilsfreien oder beschränkteren Beurtheilung des jüdischen Wesens eine „Unbill“ zu sehen gewohnt ist, wundert man sich in demselben Augenblicke, wo alle disponiblen Federn in Thätigkeit sind, um die Unbill zurückzuweisen, daß man „nur in den seltensten Fällen die bestehenden Geseze dagegen angerufen habe;“ (zur Judenfrage; herausgegeben von Freund p. 228) man machte sich daraus sogar einen Vorwurf natürlich, um künftigen Vorwürfen auf der Stelle zuvorzukommen. In Minden sind z. B. im Verlauf der letzten Monate einige Broschüren erschienen, in denen man sich vom christlichen Standpunkte aus gegen die Emancipation der Juden erklärt: sogleich heißt es nun in den gewöhnlichen Wendungen der Denuncianten, es seyen nur „einige wenige Individuen, deren judenfeindliche Gesinnung in jener Stadt ihr arges Spiel treibe“ (a. a. O.); „auf jeder Seite“ jener Broschüren seyen „Ueberschreitungen der bestehenden Preßgeseße zu finden,“ „es sey eine falsche Schaam, eine übel angebrachte Duldsamkeit, wenn man solches gesezwidrige Treiben gewähren lasse,“ der Gemeindevorstand zu Breslau habe im vorigen Jahre in einem ähnlichen Falle den richtigen Weg eingeschlagen, als er „am gehörigen Orte gegen solches preßwidrige (!) Verfahren Klage führte“, und sein Schritt habe in der That „das erfreuliche Resultat“ gehabt, daß der schuldige Autor „amtlich zum Schweigen gebracht wurde.“
[Notes for §15 here]
§16 Und mit solchen Leuten, die mit den ärmsten und gefahrlosesten ihrer Gegner nicht anders, als durch Anrufung des amtlichen Beistandes fertig zu werden wissen, soll man sich in eine Auseinandersetzung einlassen?
[Notes for §16 here]
§17 Allerdings ist es nothwendig, denn sie stehen mit dieser Maxime nicht allein und es ist doch immer ein Gewinn, wenn eine Frage, die weiter greift, als man fich gewöhnlich zugestehen pflegt, wieder in ihre richtige Stellung gebracht wird.
[Notes for §17 here]
§18 Etwas Censurwidriges hat man mir zwar in den Schriften und Auffäßen, die vor mir liegen, nicht vorgeworfen, dafür hat man aber an meiner Auffassung der Frage Uebelstände und Mängel entdeckt, die sie zu einer völlig verfehlten machen.
[Notes for §18 here]
§19 Herr Marcard, der im Namen des „christlich-germanischen Princips“ den Ansprüchen der Juden entgegentritt, muß sich natürlich auch gegen mich erklären. Er vermißt an mir — in der Vorrede zu seiner Schrift wirft er nämlich auch auf mich einen Seitenblick — nun was vermißt er an mir? Das charakteristische Symbol des Weisen — das „Gleichniß des Vollbrachten“, „den Auswuchs, mit welchem man im Alterthum das Bild eines Weltweisen zierte, um damit zu bezeichnen, daß er erst „geschaffen“ habe, ehe er es sich herausnahm, ein Philosoph zu seyn kurz und gut: er vermißt an mir den „grauen Bart.“ Wäre er weniger der bärtigen urgermanischen Zeit ergeben, so würde er an mir wahrscheinlich den Zopf vermissen.
[Notes for §19 here]
§20 „Die verneinende Kritik“, „die verneinende!“ — als ob sie nicht Menschen schüfe! — nennt er „ein beliebtes und bequemes Handwerkzeug derer, welche zum Erschaffen zu schwach oder zu versplittert sind.“ Ein Blick in die deutsche Literatur der Gegenwart würde ihn belehrt haben, daß ihre Liebhaber eben nicht auf allen Gassen zu finden sind, ein Versuch hätte ihm zeigen können, ob ihr Schwerdt in der That so leicht zu regieren sey, und was das Schaffen betrifft, so hätte ihm der nächste Arzt in seiner Nachbarschaft darüber Auskunft geben können, ob man einem Kranken wieder auf die Beine helfen kann, ehe man ihn geheilt hat.
[Notes for §20 here]
§21 Auch Herr Freund sucht in dem Vorwort zu seinen Blättern „zur Judenfrage“ p. IV. so schnell wie möglich, also im Vorbeigehen mit meiner Arbeit fertig zu werden. Nachdem er so eben gegen „die Selbstsucht und Unreife mancher deutschen Liberalen in den Kammern und auf den Kathedern, unter den Publicisten und unter den Poeten,“ einen Ausfall gethan, der in Nichts Anderm als in diesem Ausruf über ihre Selbstsucht und Unreife besteht, sagt er ohne allen Uebergang: „Bruno Bauers Schrift: ›die Judenfrage,‹ war nicht bloß unreif, sondern auch undeutsch.“ Also wieder der Bart!
[Notes for §21 here]
§22 Hat er denn aber aus meiner Schrift gar nicht gesehen, daß ich mich unter Anderm auch gegen die „liberale“ Auffassung der Judenfrage in einer weitläufigen Auseinandersetzung erklärt habe? War es nicht sehr nothwendig, daß er wenigstens mit Einem Worte — mochte es passend oder unpassend seyn — den Unterschied meiner Unreife von der der „deutschen Liberalen“ angab? Und wenn ich ihm undeutsch bin, wie ist er mit dem ächt germanischen Marcard zufrieden? Warum ruft man in seinen Heften p. 228. gegen die deutsche Auffassung der Frage in Minden den amtlichen Beistand zur Hilfe?
[Notes for §22 here]
§23 Der Verfasser der Bemerkungen in der Zeitschrift „der Israelit“ (Nr. 4. p. 13.) ist ganz erstaunt darüber, daß ich die Judenfrage nicht „im freiesten und humansten Sinne,“ wie Jedermann hätte erwarten müssen, beantwortet habe. Es ist ihm befremdend, daß der Kritiker, der für das Princip der Humanität arbeitet, nicht für das Wesen des Judenthums zu schwärmen vermag. Freilich weiß er sich sogleich zu trösten und die Sache zu erklären: „dem Fanatismus der Dialektik,“ mit welchem eine Seite der alten Hegelschen Schule „gegen Alles, was nicht in ihren Schematismus paßt, förmlich wüthet,“ habe ich die Juden als Opfer dargebracht. Der Künstler, in dessen Anschauung eine vollendete Menschengestalt lebt, ist also nach dieser Ansicht ein Fanatiker, der „gegen Alles, was nicht in seinen Schematismus paßt, förmlich wüthet,“ wenn er dem Triebe seines Formsinns folgt und an dem Marmorblock arbeitet, daß die Ecken in Splitter zu Boden fallen. —
[Notes for §23 here]
§24 Auf jüdischer Seite hält man kein anderes Verhältniß zu meiner Auffassung und Beantwortung der Judenfrage für recht und erlaubt als ein feindliches. Wer ein Judenfreund seyn will, muß nach jüdischer Ansicht gegen mich auftreten. „Wir wissen es nur zu gut, sagt Herr Philippson p. 3., mit welchem Kämpfer wir es zu thun haben....... Dennoch müssen wir den Handschuh aufnehmen, den er in (!) unsere wichtigsten und heiligsten Interessen geworfen. Die Ehre des Judenthums, die Ehre der Juden steht auf dem Spiel.“
[Notes for §24 here]
§25 D.h. es ist eine Ehrensache des Juden, meine Kritik und die Kritik überhaupt als einen persönlichen Feind zu betrachten und sein Möglichstes gegen sie zu thun. Er muß sie bekämpfen, es mag gehen, wie es will. „Wir wollen uns vertheidigen, sagt Herr Philippson, „so gut es gehen will“ vertheidigen, aber ja nicht lernen, nicht studiren, nicht einmal lesen, also auch nicht mit und fortarbeiten.
[Notes for §25 here]
§26 Herr Philippson fährt fort: „wie aber, das soll und muß unsere erste Frage seyn, müssen wir zu Werke gehen, um eine sichere Stellung in diesem Streite zu gewinnen? Und die Antwort kann nur die seyn, daß der Jude vorurtheilsfrei und unbefangen aus seinem Judenthum heraus alle die Resultate in Frage stellt, die Herr Bauer aus seiner Arbeit gewonnen.“ Der Unterschied zwischen meiner „Arbeit“ und der Blätter, die man jüdischer seits, die z.B. ein Philippson voll schreibt, muß dann auch so beschaffen seyn, wie er in der That beschaffen ist und die Gegner des Kritikers in manchem Augenblick der Angst sich auch gewiß gestehen werden. Der Kritiker arbeitet, der verleßte Jude stellt seine Resultate bloß in Frage und ängstigt sich ab, sich so gut, wie es gehen will, zu vertheidigen. Der Kritiker hebt im Interesse der Menschheit das Judenthum aus seinem alten Schwerpunkt, der Jude glaubt immer noch sicher zu seyn, wenn er „aus seinem Judenthum heraus“ die Bewegung und Erschütterung läugnet; der Kritiker löst die Fesseln, der Jude nennt sich ihm gegenüber „vorurtheilsfrei,“ indem er behauptet, er sey durchaus nicht gefangen, wenn er sich nur so weit bewegt, als ihm seine bisherige Wohnung erlaubt.
[Notes for §26 here]
§27 Die Weltkenntniß, die sich der Gegner der Kritik bei seiner preßhaften Lebensart allein erwerben kann, ist unter diesen Umständen überraschend groß. So sagt Herr Philippson von mir (p. 5.), ich denke mir „einen Staat ganz eigner Art ein philosophisches Ideal von einem Staat, wo der Souverän Logik und Metaphysik publice vorträgt und die Glieder des Staats vom ersten Minister bis zum Lampenpuger der königlichen Hofbühne jedes Wort des gekrönten Professors eifrig nachschreiben“ u. s. w.
[Notes for §27 here]
§28 Auch die Geschichtskenntniß, wenn man die Geschichte der Menschheit „aus dem Judenthum heraus vorurtheilsfrei und unbefangen“ ansieht, ist eine höchst wunderbare. „Wer hat den christlichen Theologen die Bahn zu einer Kritik des alten Testaments geöffnet? fragt Herr Philippson p. 6.; war es nicht Mendelssohn?“ „Wer hat Ihnen diese Lüge aufgebürdet, fragte er mich in Beziehung auf meine Bemerkung über den Horror des weisen Moses vor dem Spinozismus, und wenn Sie sie gelesen, wie war sie motivirt?“ Einem solchen Gegner gegenüber wäre es tollkühn, wenn man auf die Literatur hinweisen wollte, die über diesen Punkt zusammengeschrieben ist.
[Notes for §28 here]
§29 Daß die Sprache auf diesem „vorurtheilsfreien“ Standpunkte der Gegner der Kritik eine höchst wunderbare Eigenschaft hat – die Eigenschaft nämlich, daß sie zwei Gedanken, die sich auf der Stelle gegenseitig vernichten müßten, als innige Freunde unmittelbar neben einander zu stellen vermag, habe ich öfters bemerkt. Ein neues Beispiel wird hier aber nicht am unrechten Orte seyn.
[Notes for §29 here]
§30 „Du weißt es, schreibt Herr Hirsch im ersten seiner Briefe p. 3. 4., daß von jeher jeder Jude, was auch sonst seine bürgerliche Beschäftigung seyn mochte, vermöge seiner Religion fich für verpflichtet hielt, Theolog zu seyn. (Welche Neuigkeit!) Selbst forschen, selbst prüfen, der eigenen Einsicht in religiösen Dingen freilich nicht der, die so (!) leicht zu vertrauen – sondern der, die nur nach schwerer und mühevoller Geistesarbeit gewonnen wird – war von jeher das Charakteristische der Juden. (Man höre!) Der Rabbiner war nur der amtliche Erste unter seines Gleichen. (Er hatte nur den Ehrenplaß des ersten Philosophen unter lauter vollendeten Philosophen!) Die Rabbiner thun daher ganz recht, wenn sie bei ihrer wissenschaftlichen (!) Beschäftigung nie ihre Gemeinde aus dem Auge verlieren und Fragen behandeln, die eben für diese momentan wichtig sind. (Recht schön! Ausgezeichnet schön! Aber nun höre man auch, welche Folgen dieses Selbstlob hat, Folgen, die mit der reinsten Naivität von der Welt unmittelbar nach diesem Satze ohne Entschuldigung, ohne Anmeldung auftreten!) Freilich ist es traurig, wenn man die Fragen gen ansieht, die behandelt werden, und noch trauriger, wenn man die Art und Weise ihrer Behandlung ins Auge faßt. Es sind meistens solche, die längst entschieden sind, und an ihrer Lösung (!) nehmen die Gemeinden meistens nur auf die grobmateriellste Weise Antheil.“
[Notes for §30 here]
§31 Habe ich Unrecht, wenn ich sage, man müsse sich fast schämen, einen Satz aufzustellen, wenn man Nichts als Declamationen von dieser Art auf sich eindringen sieht?
[Notes for §31 here]
§32 Nachdem Herr Hirsch die Juden als freie Männer gerühmt hat, die „von jeher“ Selbstforscher waren, klagt er auf einmal....... doch die Widersprüche gehen ins Endlose fort..... ich weise nur noch darauf hin, wie er am Schluß dieser Declamation es beklagt, daß die Rabbiner „jezt meistens die Unwissenheit und deren Folgen, den Indifferentismus u. s. w. zu bekämpfen haben und daß dieser Kampf auch nothwendig auf ihre wissenschaftliche Beschäftigung nachtheilig wirken müsse.“
[Notes for §32 here]
§33 Als ob es für die Wissenschaft etwas Vortheilhafteres geben könne, als den Kampf gegen die Unwissenheit!
[Notes for §33 here]
§34 Nach der Ansicht des Herrn Hirsch giebt es in der That etwas Vortheilhafteres: den Kampf gegen die Wissenschaft selbst.
[Notes for §34 here]
§35 (Beiläufig bemerken wir noch, wie Herr Hirsch die Gemeinden, die er so eben zu Boden declamirt hat, bald darauf (p. 8.) durch ein eigenthümliches Lob wieder aufzurichten weiß. „Sieh doch, schreibt er seinem Freunde, wie Alles bei uns, was sich auf das abstract Religiöse bezieht, kränkelt, wie unsere Gemeinden auch ohne geistlichen Führer sich so wohl befinden, wie diese gar nicht angestellt werden würden, hoffte man nicht durch sie vom Staate Zugeständnisse zu erlangen.“)
[Notes for §35 here]
§36 Diesen preiswürdigen Declamationen kann die Art und Weise, wie man auf der entgegengeseßten Seite, besonders in den Minden'schen Producten poltert, nur ebenbürtig genannt werden. Jüdischer Seits will man, daß die Herren in Minden „amtlich zum Schweigen gebracht“ werden. Herr Marcard und seine Genossen in Minden klagen dagegen, daß die Juden „sich fast ganz der Zeitungen und öffentlichen Blätter bemächtigt haben,“ und da sie sich wahrscheinlich nicht die Kraft zutrauen, sie durch tüchtige Kritiken oder „Schöpfungen“ aus den Spalten derselben zu vertreiben, so kann ihr wahrer Herzenswunsch kein Geheimniß seyn.
[Notes for §36 here]
§37 „Ihnen, nämlich den jüdischen Beherrschern der deutschen Zeitungen und öffentlichen Blätter, klagt man auf der Mindenschen Seite weiter, schließen sich die an, die entweder ihren Glauben an Christus abgeschworen haben oder durch jüdisches Geld bewogen worden, im jüdischen Sinne zu schreiben.“
[Notes for §37 here]
§38 Herr Marcard, der in diese Klage einstimmt und meine Arbeit gelesen hatte, ehe er seine „Schöpfung“ ans Licht stellte, hätte sich durchaus bemühen sollen, in Bezug auf meine Person wenigstens eine neue Wendung zu erfinden. Meine Arbeit kam ihm aber wahrscheinlich zu unerwartet; er fand an ihr keine faßliche Handhabe, weil ihr Urheber unglücklicher Weise noch nicht das Recht hat, sich mit „einem grauen Bart“ abbilden zu lassen.
[Notes for §38 here]
§39 Noch ein Nothruf der Mindener: wenn die Juden jezt schon in den Zeitungen das große Wort führen, so werden sie, wenn die Emancipation durchgesezt werden sollte, bald im Besiz aller öffentlichen Staatsämter seyn; den Sturm auf die Aemter werden sie förmlich organisiren, sie werden unfehlbar einen „Studir-Actien-Verein" bilden. Nun können die Mindener nicht concurriren? Können sie nicht einen Gegenverein bilden?
[Notes for §39 here]
§40 Unseliger Kampf, wo man sich auf beiden Seiten solcher Declamationen und Denunciationen bedient! Unseliger Kampf! würden wir ausrufen, wenn nicht die Waffen, deren man sich hüben und drüben bedient, der Beweis wären, daß man auf beiden Seiten bereits erschöpft ist und nicht mehr lange kämpfen, wenigstens keinen Kampf mehr durchführen kann, der der Aufmerksamkeit werth wäre.
[Notes for §40 here]
§41 Wenn ich meine Beantwortung der Judenfrage nicht im Interesse des Fortschritts mitgetheilt hätte, wenn ich mir also nicht eine Bestätigung derselben von einer erfreulicheren Art gewünscht hätte, so könnte ich mir keine schlagendere wünschen, als diejenige, die mir in den Erwiederungen von Seiten der vermeintlich verletzten Parthei zu Theil geworden ist.
[Notes for §41 here]
§42 Ist wohl an eine Verständigung im Interesse der Menschheit zu denken, wenn der Gegner auf die Kritik seines Princips weiter Nichts zu erwidern weiß, als daß er sich hinstellt und sagt: mein Princip ist Alles gewesen und bleibt das All und Eins der gesammten Geschichte? Heißt das antworten und auf die Frage eingehen, wenn z. B. Herr Hirsch (p. 30) sich in Worten bis ins Maaßlose übernimmt und declamirt: „die Principien, die sowohl den Mosaismus als auch die übrigen Erscheinungen im Judenthum producirt haben, sind die einzige treibende Macht in aller bisherigen Geschichte gewesen und werden dieses auch bleiben?“ Hält der Gegner die Kritik wirklich der Schwachheit für fähig, daß sie ein Wort erwidern könnte, wenn er ausruft (p. 27): „die Wissenschaft der Wahrheit ist das einzige Lebenselement des Judenthums“ oder daß sie ihn auf die wirkliche Geschichte verweisen könnte, wenn er betheuert: „der Protest“ des Judenthums, nämlich „sein Protest gegen den abstracten Spiritualismus war es, welcher aus der mittelalterlichen jenseitigen Welt auf den concreten Boden neuerer Wissenschaft zurückführte?“
[Notes for §42 here]
§43 Wenn ich die Juden auffordere, ihr besonderes Privilegium aufzugeben, welches sie von den socialen Bestrebungen der Menschheit bisher absonderte, so meint Herr Hirsch, ich thäte es in der Ueberzeugung, daß sie die wichtigsten kritischen Fragen der Zeit „am gründlichsten, weil am vorurtheillosesten lösen würden“ (p. 11); es sei meine Absicht, „die jüdischen Theologen zu nöthigen, „die Zeitfragen von ihrem Standpunkte aus zu lösen“ (p. 6). Ich müßte mich wiederum fast schämen, wenn ich auf meine Arbeit verweisen wollte.
[Notes for §43 here]
§44 Wir müssen die Emancipation erzwingen! ruft Herr Hirsch: „der Weg ist wahrlich leichter, als man so obenhin meinte (p. 9 10). Haben wir vor dem Staate fest und bestimmt, nicht blos behauptet, wie z. B. das weiland französische Sanhedrin, sondern bewiesen, gründlich bewiesen, durch eingehende Kritik bewiesen, daß wir ein nothwendiges Moment in seinem Lebensorganismus bilden.... dann möge der Staat, der Religion hat, der sich von der Religion bis in seine feinsten Nervenspitzen durchdrungen weiß, dann möge der christliche Staat zusehen, wie er ohne sich selbst und seinem Lebensprincip zu widersprechen, uns die Emancipation vorenthalten mag.“ Hätte der Declamator doch lieber statt diesen anstrengenden Satz niederzuschreiben meinen Beweis widerlegt, daß der christliche Staat, weil sein Lebensprincip eine bestimmte Religion ist, den Anhängern einer andern bestimmten Religion jedwede Vergünstigung und Duldung, nie aber vollkommene Gleichartigkeit mit seinen Ständen zuzugestehen vermag! Hätte er doch, statt zu declamiren, wenigstens nur mit Einem Worte angedeutet, welches der Gegenstand ist, durch dessen „eingehende Kritik“ er den christlichen Staat so über alles Erwarten zu beschämen sich im Stande glaubt!
[Notes for §44 here]
§45 In der dritten Lieferung „zur Judenfrage in Deutschland“ hat Herr Stern den Gedanken auszuführen gesucht, daß das Judenthum in dem gegenwärtigen Stadium seiner Entwickelung ein Recht habe, als Glied des Staats-Organismus anerkannt zu werden. „Jetzt will das Judenthum, sagt er (p. 125 a. a. D.), durch sein Aufgehen in die nationale und politische Existenz der Völker unserer Zeit als ein integrirendes Glied in den verschiedenen Staats-Organismen der Gegenwart wieder zur geschichtlichen, aber nicht zur volksgeschichtlichen sondern zur völker- und weltgeschichtlichen Existenz gelangen.“ Es will? Wir suchen vergebens nach den Thaten und Schöpfungen, welche die durchgreifende Kraft dieses Willens garantiren könnten. Es will in die nationale und politische Existenz der Völker u. s. w. aufgehen? Schwerlich wird ihm das möglich werden, wenn es nicht aufhört, Judenthum zu seyn und von seinen großen Eigenschaften so viel Rühmens zu machen, als man von seinen Apologeten gewohnt ist.
[Notes for §45 here]
§46 Dieselben Apologeten, die gegen die Absonderung des Judenthums von den Interessen der geschichtlichen Völker protestiren, protestiren zugleich im Namen des Judenthums dagegen, daß es sein Privilegium, in welchem seine Absonderung bisher begründet war, aufgeben solle. „Das Judenthum protestirt dagegen, sagt Herr Hirsch (p. 45), daß es sich nach denselben Kategorien entwickelt habe, nach denen sich die Völker des übrigen Alterthums entwickelt haben.“ „Es verlangt nach seinen eigenen Kategorien beurtheilt zu werden.“ Dieser Protest und dieses Verlangen sind aber, sollte man meinen, lange genug als gültig anerkannt und respectirt worden, so lange respectirt worden, daß es endlich Zeit geworden war, sie einmal auch zu kritisiren. „Will“ das Judenthum sich nicht denselben menschlichen Maaßstab gefallen lassen, mit dem Griechen und Römer gemessen werden, so würde es sich doch vor Allem erst fragen, ob sein Wille wahrhaft menschlich und sittlich sey. Will es sich nicht denselben Maaßstab gefallen lassen und declamirt es dennoch über seinen Vorsaß, daß es die Gleichstellung mit den andern geschichtlichen Völkern erzwingen wolle, so ist es einfach auf seinen eigenen Protest gegen eben dieselbe Gleichstellung zu verweisen. Es will eine Gleichheit mit Andern erringen, die ihm selber im Grunde seiner Seele als ein sehr unbedeutendes und sogar unwahres Ding gelten muß, wenn es dieselbe mit seinem wahren, Alles überragendem Privilegium vergleicht.
[Notes for §46 here]
§47 Nachdem die Kritik so oft den Beweis geführt hat, daß das religiöse Bewußtseyn des Juden zugleich ein nationales ist – ein politisches im wahren Sinne kann man kaum sagen – daß die jüdische Gemeinde nicht eine rein religiöse Vereinigung, sondern zugleich wesentlich eine Stammes Genossenschaft ist, bemüht man sich in neuerer Zeit auf jüdischer Seite damit zu helfen, daß man die Absicht ausspricht, das religiöse Element des Judenthums von allem nationalen Beisaß zu reinigen. So heißt es in der Anzeige der Holdheimischen Schrift (zur Judenfrage in Deutschland p. 168): „das vorhandene Politische im Judenthum muß losgetrennt werden, damit das wahrhaft Religiöse und Ewige darin feinen Einfluß geltend machen könne, die freie Bewegung im bürgerlichen Leben, der volle Anschluß an den Staat auch für die Juden möglich gemacht werde.“ Dieß „wahrhaft Religiöse und Ewige“ nennt Herr Holdheim (in der Vorrede zu seiner Schrift) das „Allgemein-Gültige“ im Judenthum. Allein gesezt den Fall, daß dies sogenannte Ewige, Allgemein-gültige, wir wollen sagen: die reine Religions-Kategorie aus dem Judenthum herausgezogen würde, so ist diese Kategorie ja nur das letzte Sublimat eines sehr bestimmten Standpunkts, des jüdischen Standpunkts, sie wird also immer noch der Ausdruck – wenn auch der allgemeinste, abstracteste Ausdruck – für die Bestimmtheit dieses Standpunkts seyn. Die Natur der Quintessenz kann unmöglich eine andere seyn, als diejenige, die den ausgepreßten Stoffen eigen war. Das Religiöse kann überhaupt nie als ein rein Allgemeines, als etwas vermeintlich Allgemein-Gültiges da seyn; die Versuche, eine allgemeine Wahrheit aufzustellen, werden nach dem geschichtlichen Standpunkte, nach der Form des Bewußtseyns, von welchem sie ausgehen, immer verschieden ausfallen und ein anderes Resultat zur Folge haben. — Niemand kann nämlich aus seiner Haut heraustreten, Niemand etwas Anderes erfahren als sich selbst, Niemand einen allgemeinen Satz aufstellen, der mehr umfaßt, als er im Einzelnen selber ist, weiß und erfahren hat — wollten daher die verschiedenen Religions-Partheien den Vorsatz fassen, den Vorsatz, welchen das Bewußtseyn ihrer Verschiedenheit nicht einmal zu einem wirklich ernsthaften werden lassen wird, den Vorsatz, aus ihren Religions-Systemen „das Allgemein-Gültige“ herauszuziehen, um darin ihren Einheitspunkt zu finden: sie würden doch nie zusammentreffen, da die Summe, die jede Parthei am Schlusse der Rechnung haben wird, immer nur soviel betragen kann, als der Schatz, über den sie in Wirklichkeit gebietet. Der Versuch, eine Durchschnitts-Formel aufzustellen, würde nur der Stoff zu neuen Streitigkeiten seyn; die Aushilfe, daß die eine oder die andere Parthei, um der andern gleichzukommen, ihre Summe declamatorisch übertriebe, würde kaum für einen Augenblick ausreichen. Doch setzen wir diesem Gerede über Unmöglichkeiten seine Gränze: jene Partheien schließen sich aus und werden sich immer ausschließen, weil sie sich in verschiedener Weise gegen die Interessen der Gesellschaft, so weit sie fähig sind, dieselben aufzufassen, und demnach zu perhorresciren, ausschließend verhalten. Ihr „Protest“ gegen dieselben wird demnach je nach dem verschiedenen Standpunkt der Gesellschaft und je nach ihrer Fähigkeit, dieselben aufzufassen, ein sehr bestimmter und demnach verschiedener seyn. Die gegenwärtig herrschende Bestimmtheit ist die Unbestimmtheit, mit welcher die neue Entwickelung der Gesellschaft selbst noch innerlich zu kämpfen hat und die sich nun auch als eine besondere äußere Macht gegen die Tendenz der Entwickelung richtet: aber auch diese Unbestimmtheit kann die bisher getrennten Partheien nicht vereinigen, da die Unbestimmtheit einer jeden je nach ihrer Verwicklung mit der Geschichte, also auch je nach ihrer Fähigkeit, die Tendenz der Entwicklung aufzufassen und zu fürchten, einen sehr verschiedenen Umfang und einen sehr verschiedenen Grad der Intensivität besitzt. —
[Notes for §47 here]
§48 Wir geben einige Beispiele der Unbestimmtheit, mit der man sich von jüdischer Seite her gegen meine Auflösung der Judenfrage gerichtet hat.
[Notes for §48 here]
§49 Was ich über die Schuld der Juden an ihrem eigenen Schicksal gesagt habe, bemerkt Herr Hirsch (p. 24), hebe sich selbst auf, da die beiden Theile meiner Ausführung sich gegenseitig vernichten. Wenn die Juden nämlich, wie ich mich ausdrücke, durch den Druck gegen die Springfedern der Geschichte den Gegendruck hervorgerufen haben, so müßten sie also, erinnert dagegen Herr Hirsch, für die Geschichte Etwas gewesen seyn, und wenn ich dieß selbst behaupte, so hätte ich andererseits Unrecht zu behaupten, daß sie Nichts für die Bildung der neuern Zeit beigetragen hätten. Allein: ein Dorn im Auge ist auch Etwas — trägt er nun deßhalb zur Entwicklung meines Gesichtssinnes bei? Fördert er mich in der Läuterung meines Kunstsinnes? Die Juden haben den schaffenden Völkern des Mittelalters und der folgenden Zeit durch ihren Widerstand und ihre Absonderung gegen die treibenden den Ideen der Geschichte den Druck abgedrungen — folgt aber daraus, daß sie schöpferische Heroen gewesen seyn müssen?
[Notes for §49 here]
§50 Meine Bemerkungen über die Stabilität, den orientalischen Charakter und die Zähigkeit des Judenthums, sagt Herr Hirsch p. 17, „haben nicht mehr und nicht weniger Sinn, als wenn man dem Christenthum Stabilität vorwirft, weil dieses seit 2000 Jahren Christenthum geblieben ist und wohl noch lange Christenthum bleiben will“ — allein dagegen habe ich ja längst in dieser Angelegenheit auseinandergesetzt, woher es kommt, daß gerade das Christenthum diese große Geschichte seit 2 Jahrtausenden gehabt hat, daß es die Kritik erzeugt hat, daß es dieselbe erzeugen mußte und daß sie nur von ihm in dieser entscheidenden Form hervorgebracht werden konnte.
[Notes for §50 here]
§51 Auf Anlaß meiner Bemerkungen über das Schicksal der Juden in Spanien, wo ihre Vertreibung und die consequente Durchführung des katholischen Princips zusammenfiel, betheuert Herr Hirsch, die Juden hätten sich überhaupt „nur immer in Ländern heimisch gefühlt, wo Freiheit herrschte“ — das ist zum Theil wirklich der Fall, aber nur deshalb, weil die Freiheit dieser Länder noch die inconsequente, barbarische oder unklare war. Was die polnische Freiheit zu bedeuten hatte, ist bekannt und mit welcher Barbarei und jesuitischen Hinterhaltigkeit die französische Freiheit sich gegen die Juden noch in der letzten Zeit benommen hat, habe ich klar genug nachgewiesen.
[Notes for §51 here]
§52 Meine kritischen Ausführungen über die gesetzliche Vorstellung von der Reinheit und Unreinheit glaubt Herr Hirsch vollständig zu vernichten, indem er mir zu Gemüthe führt: „Bauer weiß so gut, wie Jeder, der die Bibel einmal gelesen, daß dem Juden nicht sein Mitmensch, sondern gewisse Speisen für unrein gelten.“ (p. 56). Mir aber, das muß ich gestehen, ist diese Unterscheidung unbekannt und sie wird mir so lange unbekannt bleiben, bis man mir im Geseze auch nur die Möglichkeit dieser Unterscheidung, d. h. die Kategorie des „Mitmenschen“ nachgewiesen hat. Das aber weiß ich aus dem Geseze, daß nach seiner Vorstellung (siehe z. B. 3 Mos. 11, 43) — durch jene Speisen „die Seele zum Scheusal“ wird, daß also das Volk Gottes (z. B. 5 Mos. 14, 21) sich derselben enthalten soll, weil es „ein heiliges Volk“ ist. Durch die unreinen Speisen sind die andern Menschen ganz besonders verunreinigt, sie sind ja mit denselben assimilirt.
[Notes for §52 here]
§53 Ich habe gezeigt, daß die Collision, zu welcher das Sabbathsgesetz Anlaß gibt, selbst unter den französischen Gesezen noch weit von seiner Lösung entfernt ist. Herr Holdheim sieht dagegen die Sache in den Ländern, wo diese Collision möglich ist, für so entschieden an, daß es nach seiner Meinung nur noch auf die theoretische Bestätigung der Entscheidung ankommt. Die Frage, ob jüdische Staatsbeamte die Sabbathsfeier dem Staatsdienste nachsehen dürfen, „diese Frage, sagt er (p. 109. Anmerk. 71), muß, nachdem die Praxis über sie entschieden hat, hinterher auch theoretisch vom Standpunkt der jüdischen Theologie beantwortet werden.“ Also das Beispiel Frankreichs hat ihm nicht die Lehre gegeben, daß sie nimmermehr entschieden werden wird, wenn sich nicht beide streitende Theile von vornherein auf dem menschlichen Standpunkt der Gesellschaft befinden? In Frankreich ist bis jetzt die Antwort auf dem praktischen Gebiete nur eine Gewaltsamkeit: nach der Ansicht des Herrn Holdheim wäre also Alles, was noch zu thun übrig bliebe, das Eine, daß der Zwang der Praxis zu einem Zwange gegen die Theorie würde d. h. die Theorie hätte nur die Aufgabe, die Pforte zu finden, durch welche das durch die Praxis geängstigte Gewissen sich retten könnte.
[Notes for §53 here]
§54 „Es kommt lediglich darauf an, sagt Herr Holdheim, daß dem Juden die Erfüllung seiner Bürgerpflichten ebenso von der Religion als religiöse Obliegenheit geboten ist (ist? wo? im Gesetze?) wie die Sabbathfeier und andere religiöse Gebräuche.“ Unmöglich, so lange das gesetzliche Gebot der Sabbathsfeier das umfassende Verbot jeder Beschäftigung ist, welche die gesetzliche Ruhe und Stille stören könnte! Der Gewinn wäre aber auch nicht besonders hoch anzuschlagen, wenn dasjenige wirklich der Fall wäre, worauf es nach Herrn Holdheims Ansicht „lediglich ankommt.“ Wird die Bürgerpflicht als religiöse Pflicht gegen eine Gemeinde gesetzt, so ist der Staat unter die Curatel der religiösen Gemeinde gestellt und die Gemeinde gibt in den einzelnen Fällen nur für einen Augenblick nach, um gerade in diesem Augenblick und nur in diesem Augenblick einer unangenehmen Collision aus dem Wege zu gehen. Herr Holdheim sagt in seiner Weise dasselbe: „dadurch aber, daß das jüdische Religions-Gesetz in Collisions-Fällen dem bürgerlichen Gesetze untergeordnet wird, wird es keineswegs vom Staate aufgehoben, wozu der Staat nicht das Recht haben kann, sondern für alle übrigen Fälle seiner Anwendbarkeit zurückgeschoben.“
[Notes for §54 here]
§55 Meine Kritik der Verhandlungen der französischen Deputirten-Kammer versteht Herr Holdheim so, als ob ich gefordert hätte, daß aus Rücksicht auf das alttestamentliche Gesetz und dessen Bekenner die Kammer und die Regierungssäle am Sabbath eben so geschlossen seyn müßten wie am Sonntage und allen christlichen Feiertagen. Er hat die Arbeit des Kritikers sehr mißverstanden. Als Kritiker hatte ich nicht die Pflicht, mich als Gesetzgeber bloß zu stellen, sondern das Bestehende und die Versuche, die Collisionen desselben zu vertuschen, vielmehr zu charakterisiren, um der entscheidenden Gesetzgebung reinen Boden zu verschaffen. Als Kritiker werde ich in dem folgenden Artikel auch den Stand der jetzigen deutschen Gesetzgebung darstellen, nachdem ich an den Verhandlungen des letzten rheinischen Landtages gezeigt habe, wie weit zu den Berathungen unserer westlichen Landschafts-Abgeordneten die neueste Ansicht von der Judenfrage sich Zugang verschafft hat.
[Notes for §55 here]
§56 (Diese Verhandlungen sind unter Anderm in der zweiten Lieferung „zur Judenfrage in Deutschland“ abgedruckt.)
[Notes for §56 here]
§57 Der Referent, welcher „den Bericht des ersten Ausschusses, betreffend die Anträge von sieben Deputirten wegen Aufhebung des sogenannten Juden-Decrets vom 17. März 1808 und der ferneren Gleichstellung der Juden mit den übrigen Einwohnern des Staats in politischen und bürgerlichen Rechten“ vortrug, geht in der Einleitung seines Referats ziemlich weit in die Vergangenheit zurück. Nachdem er die Geschichte vom barmherzigen Samariter vorgetragen, weist er darauf hin, wie die Juden „nach der Zerstörung Jerusalems unter Titus und mehr noch nach der späteren Empörung unter Hadrian in alle Theile des römischen Reichs, zerstreut und viele derselben auf den Militärgränzen des Reiches unter der Aufsicht der Cohorten angesiedelt wurden.“ „Fremdlinge wären also die Juden am Rheine schon lange nicht mehr, als unsere Vorfahren seine Ufer von den römischen Fesseln befreiten und ihre Herrschaft dort begründeten; allein unter der neuen Herrschaft ward ihnen kein freudigeres Loos zu Theil als unter ihren Unterdrückern, den Römern.“ Es ist klar; die Sache selbst zwingt den Referenten, den wichtigen Satz, auf den er seinen Antrag auf Emancipation gründet, durch jedes seiner Worte selber umzustoßen. Wurden die Juden unter Aufsicht der römischen Cohorten angesiedelt, so konnten sie sich schwerlich in der Zerstreuung heimisch fühlen; waren die Römer ihre Unterdrücker, so werden sie das Land, wo sie unter der Unterdrückung lebten, eben nicht als neues Vaterland gesegnet haben und was nun gar ihre neueren Unterdrücker, die modernen Völker betrifft, so tritt sogar der schlimme Fall ein, daß sie von diesen nicht unterjocht, nicht bekriegt, nicht unterworfen, sondern nur als etwas unvermeidliches geduldet wurden. Eine vollständige Unterjochung, zu der aber die Juden keinen Anlaß gaben, da sie eben kein Heimathsland besaßen und an den Kämpfen der Völker nicht den geringsten Antheil nehmen konnten, würde es nicht zur heutigen Judenfrage haben kommen lassen. (Ein Abgeordneter der Städte, welcher die Nothwendigkeit der Emancipation darauf begründet, daß „die Unterjochung der jüdischen Nation? — in größter Vollständigkeit erreicht sey,“ hat seinem Beweise also auch kein sehr festes Fundament gegeben).
[Notes for §57 here]
§58 Der Herr Referent biegt endlich von dem Wege, den er Anfangs als den geradesten zu betrachten schien, etwas ab, um auf einem andern zum Ziele zu gelangen: „Durch das Edict vom 11. März 1812, sagt er, sind die Juden zu Staatsbürgern geworden, wenn auch bis dahin ein mehr als ein anderthalbtausendjähriges Domicil den Charakter der Fremdlinge ihnen nicht genommen haben sollte“ — allein ein bloßes Edict kann die Menschen nicht umschaffen!
[Notes for §58 here]
§59 Einem Abgeordneten der Städte, der über die Tagesfrage eine andere Meinung hat als der Referent, ist dieser nicht weit genug in die Vergangenheit zurückgegangen. „Ich müßte noch etwas weiter in die Geschichte zurückgehen, als der Herr Referent gethan, sagt er, mindestens mit der Erscheinung des Herrn und mit der Passion anfangen.“ „Die Geschichte des Volkes nennt er ein bedeutungsvolles Zeichen.“
[Notes for §59 here]
§60 „Allerdings, erwiedert ein anderer Abgeordneter desselben Standes, sey ein Strafgericht Gottes über die Juden verhängt worden, dieses Strafgericht sey aber nach dem alten und neuen Testament an eine bestimmte Zeit geknüpft. Dem Menschen stehe es nicht zu, diese Zeit zu erforschen oder überhaupt in den Rathschluß Gottes einzudringen. Er stimme deshalb mit voller Ueberzeugung für die Anträge des Ausschusses.“ Wenn aber jenes Gericht, unter dem die Juden leben, ein „Strafgericht Gottes“ ist, so haben bloße Menschen nicht das Recht, es aufzuheben; wenn der Mensch in den Rathschluß Gottes nicht eindringen kann, so hat er noch weniger die Macht, ihn zu verändern, und wenn man wissen will, an welche „bestimmte Zeit das alte und neue Testament dieses Strafgericht knüpfen,“ so ist ihre einstimmige Antwort: es ist die Zeit, wo das Volk sich bekehren wird.
[Notes for §60 here]
§61 Ein Abgeordneter der Ritterschaft geht noch weiter in die Vergangenheit zurück als der erste Abgeordnete der Städte. Er ist für die Emancipation: „wie würden wir es auch bei dem Stifter unserer Religion, den wir alle anbeten und verehren, verantworten können, daß eine Nation, wozu seine Mutter gehörte, sich noch und mit Recht über das Verfahren der Christen beschweren könnte?“
[Notes for §61 here]
§62 Ein anderer Abgeordneter desselben Standes hatte ihn aber schon in voraus zu überflügeln gesucht, indem er bemerkte, er „erlaube es sich, vom Anfange der mosaischen Gesetzgebung zu beginnen.“ Das Gesetz sey von der Art, daß es keine völlige Emancipation zulasse. „Er wolle die Juden wie Brüder von ganzem Herzen lieben, jedoch nur auf gewisse Distance“ — dann wird ihre Sache aber schwerlich das Herz berühren können. —
[Notes for §62 here]
§63 Die gründlichen Arbeiten, die von christlicher Seite über den Talmud geliefert worden sind, waren für die Abgeordneten der Stände ein Anlaß, auf die Vorwürfe der „Judenfeinde,“ zu welchen der Talmud Gelegenheit gegeben hat, öfter zurückzukommen. „Die Behauptung, daß die Religion der Juden Grundsätze enthalte, die der socialen Ordnung im Staate widersprechen, sagt der Berichterstatter in seinem Referat, wird gewöhnlich auf die Aussprüche einiger (!) Talmudisten (!) gestüßt; allein wenn wir dagegen die Vorschriften des mosaischen Gesetzes, in welchem auch wir den göttlichen Ursprung nicht verkennen, wenn wir die Aussprüche so vieler anderer jüdischen Autoritäten, wenn wir die officiellen Erklärungen des im Jahre 1806 in Paris versammelten Sanhedrins nicht unbeachtet lassen wollen, (man vergleiche aber auch meine Kritik dieser Erklärungen des Sanhedrin!) so dürfen wir die Meinungsäußerungen jener Talmudisten wohl eben so wenig dem ganzen Judenthum in Anrechnung bringen, als wir uns selbst und dem ganzen Christenthum die Zurechnung von antisocialen Aeußerungen christlicher Schriftsteller wollen aufbürden lassen.“
[Notes for §63 here]
§64 Ein Abgeordneter der Städte geht noch weiter: „die genauesten Forschungen haben dargethan, daß jene Behauptungen, wenn nicht auf Böswilligkeit, doch auf Mißverständnissen beruhen, Mißverständnissen, die durch das Herausreißen einzelner nur im Zusammenhang erklärlicher Säße herbeigeführt wurden.“
[Notes for §64 here]
§65 Am weitesten geht endlich ein Abgeordneter der Ritterschaft, der uns zugleich über „Auflagen und Uebersegungen“ des Talmud belehrt, von denen bisher die Literatur-Historie noch nichts gewußt hat. „Nach vielseitigen Erkundigungen, sagt er, ist es mir klar geworden, daß der Talmud nicht das Geseß selber, sondern nur als ein Commentar zum Geseze angesehen werden kann. Der Talmud in seiner Urschrift ist nie bindend für die Juden gewesen, am allerwenigsten aber kann es die Uebersetzung (!) desselben seyn. Wenn angeführt worden, daß der Talmud schlechte Grundsäge enthalte, so bestreite ich nicht, daß eine Ueberseßung (!) desselben manches Verwerfliche enthalte; allein es ist auch allgemein bekannt, daß der Verfasser (!) dieser (!) Auflage (!) Namens Eisenmenger, dieses Buch bloß aus Rache (!) gegen die reichen Juden in Frankfurt geschrieben, die ihm eine große Summe Geldes verweigert hatten, welche er von ihnen begehrt hatte. Hier liegt also eine böse Absicht dieser Schrift zu Grunde. Dieses Buch wird auch von allen jüdischen und christlichen Gelehrten verworfen. Dagegen giebt es aber viele andere Auflagen (!) oder besser (!) gesagt Ueberseßungen (!) des Talmud, welche nur die Lehre der reinsten Moral enthalten.“
[Notes for §65 here]
§66 Eine Berichtigung wäre an diesem Orte übel angebracht.
[Notes for §66 here]
§67 Ich wiederhole nur, was ich in meiner Schrift gesagt habe: Eisenmenger ist noch lange nicht widerlegt und wird in theologischer Weise nie widerlegt werden.
[Notes for §67 here]
§68 Ich bemerke nur noch: wenn ein Geseß einen Commentar nothwendig gemacht hat, so ist der Commentar die Hauptsache, der Ort der letzten Entscheidung, so ist der Text ohne Commentar Nichts. —
[Notes for §68 here]
§69 Eine Emancipation, wenn sie nur durch die Unkunde über das wahre Wesen und die Geschichte des Gedrückten, der emancipirt werden soll, möglich ist, falls sie überhaupt unter diesen Umständen möglich seyn könnte, würde nicht den mindesten Erfolg haben: der scheinbare Friede würde im nächsten Augenblicke sicherlich wieder gestört werden.
[Notes for §69 here]
§70 Eine Emancipation ferner, die nur als Interimisticum, nur als ein Ausweg für den gegenwärtigen Augenblick, oder nur aus Mitleiden angerathen wird, sollte von denjenigen, denen sie zu Gute kommen soll, anders gewürdigt werden, als es bisher der Fall gewesen ist.
[Notes for §70 here]
§71 Der Referent hob in seinem Berichte die Gründe hervor, die dem Christen die Ueberzeugung geben, daß das Christenthum „unfehlbar dereinst die wahrhaft allgemeine, die Welt-Religion seyn wird.“ „Möge die Vorsehung, fährt er fort, diesen Zeitpunkt nicht mehr fern seyn lassen.“ „Mittlerweile (d. h. bis es und damit es zulezt keine Bekenner eines Gesetzes mehr giebt, die zu einer so schwierigen Frage Anlaß gegeben haben) mittlerweile mögen wir uns bestreben, alle Mitmenschen zu uns zu erheben, sie uns gleich zu stellen.“
[Notes for §71 here]
§72 Ihre richtige Analyse fand diese Wendung sogleich durch den Abgeordneten der Städte, der nach dem Referenten auftrat. Die Wendung nämlich, daß die Emancipation nur als eine interimistische Maßregel, nur als eine Maßregel bis zur allgemeinen Bekehrung des Volkes Israel angerathen wird, wird im Munde der christlichen Gegner der Emancipation zur Wendung: dann ist es sicherer, wir warten, bis das Volk als Ganzes in die Kirche eintritt, und wir lassen bis dahin nur diejenigen an unserer Freiheit Theil nehmen, die uns gewisse Proben ihrer Würdigkeit gegeben haben. „Auch ich, sagt jener Abgeordnete, erkläre mich für eine Emancipation der Juden, aber für eine allmählige, stufenweise, je nachdem sie in der Bildung fortschreiten also nach persönlicher Qualification“ — d. h. für eine Emancipation, die nur als persönliche zufällige Ausnahme anzusehen ist.
[Notes for §72 here]
§73 Nachdem die Wendung des Referenten auf der Seite der Gegner der Emancipation diese consequente Umänderung erlitten hatte, konnte sie sich zuletzt nur noch wieder in der Form erheben, daß sie als eine Wendung des Mitleids auftrat. „Je tiefer wir uns von der Göttlichkeit des christlichen Glaubens durchdrungen fühlen, sagte der Abgeordnete der Städte, welcher den längsten Vortrag gehalten hat, desto mehr müssen wir es für ein Unglück halten, seiner Segnungen nicht theilhaftig zu seyn. Wollen wir denn diejenigen, die diese Wohlthat entbehren, durch Bedrückung und Kränkungen noch unglücklicher machen? wollen wir nicht vielmehr durch ein gerechtes liebevolles Benehmen die höheren Vorzüge unserer Religion an den Tag legen?“ —
[Notes for §73 here]
§74 Wir haben noch einige Wendungen anzuführen, die der reinen Aufklärung angehören.
[Notes for §74 here]
§75 Der Referent beruft sich auf den Grundsatz, „daß alle Menschen, wie vor Gott, so auch vor dem Gesetze gleich seyn sollen,“ — auf einen Grundsatz also, der völlig unbrauchbar ist, wenn es sich um die Frage handelt, ob „die Juden“ und „die Christen“ gleichgestellt werden sollen. Der Grundsatz hat nur Geltung, wenn diese Frage in einer oberflächlichen Weise beseitigt ist und jene beiden Religions-Partheien auf dem Boden des Deismus und einer Aufklärung, die längst ihre geschichtliche Bedeutung verloren hat, sich geeinigt haben. Daß sie sich aber auf diesem Boden nicht einmal gründlich einigen können, beweist der Erfolg, den die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts gehabt hat. —
[Notes for §75 here]
§76 Im Munde eines Abgeordneten der Landgemeinden spricht sich die Aufklärung etwas derber aus. „Der Umstand, sagt der Abgeordnete, daß die Juden nach ihrer jüdischen und nicht nach unserer sogenannten christlichen Weise verschroben sind,“ sey kein Grund gegen ihre Emancipation. Ich weiß nicht, ob der Abgeordnete für den Gebrauch dieses Arguments zur Ordnung verwiesen ist, aber das scheint mir gewiß zu seyn, daß nur zwischen ordentlichen und klaren Köpfen Verständigung und Friedensstiftung möglich ist. Das Argument des Abgeordneten war daher, wenn nicht ordnungswidrig, doch wenigstens nicht sehr passend gewählt. —
[Notes for §76 here]
§77 Uebersehen wir die Wendungen, die von den Vertheidigern der Emancipation gebraucht sind, so war keine einzige im Stande, die Schwierigkeit zu lösen und die Kritik, die sie freilich nicht im Auge zu haben brauchten, zu widerlegen. Sie haben auch nicht die Einwendungen zurückgeschlagen, die in der Versammlung selbst erhoben sind.
[Notes for §77 here]
§78 Besonders ein Abgeordneter der Ritterschaft hatte darauf hingewiesen, daß „das Judenthum etwas Anderes als eine Religion, daß es eine Genossenschaft von Stammverwandten, daß das Lebensprinzip dieser Nationalität selbstständige Fortentwickelung ohne Rücksicht auf den Staatsverband, in welchem sie lebt, daß diese Gemeinschaft also ein fremdes Element ist, welches der Staat nicht aufnehmen kann.“ „Bürgerliche Gleichstellung der Juden kann nur da Statt haben, wo das Judenthum selbst nicht mehr existirt.“ Richtig! Dann nämlich richtig, wenn die andere Wendung der Kritik nicht fehlt, die ich in meiner Schrift durchgeführt habe.
[Notes for §78 here]
§79 Derselbe Abgeordnete der Ritterschaft hat auch die Berufung auf das Beispiel Frankreichs in ihre richtigen Gränzen zurückgewiesen.
[Notes for §79 here]
§80 Der Referent hatte nämlich an die Maaßregeln erinnert, die man in Frankreich seit dem Beginn der Revolution zu Gunsten der Juden getroffen hatte. Der Abgeordnete der Städte, der sogleich nach ihm das Wort erhielt, hatte bereits bemerkt: „der Herr Referent bezieht sich auf ein Decret eines fremden Volkes, erlassen in den Stürmen der Revolution im Jahre 1791, wo das Christenthum von demselben verläugnet wurde. Damals gebot es die Consequenz, den Juden gleiche Rechte zu ertheilen. Warum sich aber immer und immer auf einen fremden Staat beziehen, der so gar fern steht von deutscher Sitte und Gründlichkeit?“ Ja wohl, „ein fremder Staat,“ wenn er mit der Durchführung der Ideen, die den Juden die Freiheit gaben, allein steht.
[Notes for §80 here]
§81 Die Emancipation der Juden war aber nicht einmal während der Revolution in Frankreich consequent und klar durchgeführt, weil der Idee, der man folgte, noch die wahre Consequenz und Klarheit fehlte.
[Notes for §81 here]
§82 Jener Abgeordnete der Ritterschaft bemerkt am Schluß seines Vortrags: „Daß vielleicht Frankreich oder Belgien bei der Organisation seiner politischen Verhältnisse gerade durch besondere Klarheit im Erkennen der Principien ausgezeichnet wäre, ist noch von Niemanden behauptet worden.“
[Notes for §82 here]
§83 Es ist im Gegentheil von sehr Vielen behauptet worden; aber eine gründliche Erforschung der Geschichte wird den Beweis führen, daß auch nach den großen Arbeiten Frankreichs für die Erkenntniß der Principien noch viel zu leisten ist.
[Notes for §83 here]
§84 Zuletzt, am Schluß der Verhandlungen, nahm der Referent noch einmal das Wort, um auf die Einwendungen jenes Abgeordneten der Städte zu antworten. „Man habe angedeutet, sagt er, daß ein irreligiöses Princip der Revolution die Emancipation in Frankreich hervorgerufen habe. Er bemerke hierauf, daß der allerchristlichste König, daß Ludwig XVIII. die Aufhebung der Beschränkung der Juden veranlaßt habe.“ Die Geschichte antwortet einfach: er that es, weil sein ganzes Verfassungswerk eine nothwendig gewordene Concession an die Revolution war.
[Notes for §84 here]
§85 Das Lob, welches einige Abgeordnete den Vorträgen ihrer Vorgänger in einem reichlichen Maaße gespendet haben, wird nach den obigen Bemerkungen nicht wenig von seiner Ueberschwinglichkeit verlieren müssen.
[Notes for §85 here]
§86 „Nach den Vorträgen, die wir vom verehrten Referenten und von einem Abgeordneten der Städte gehört, bleibt mir Nichts mehr zu sagen übrig, bemerkt ein Abgeordneter der Städte, als daß wir entweder diese herrlichen Produkte der geistreichsten Humanität verbrennen, oder durch den Druck der Unsterblichkeit überliefern müßten. Vermodern oder verschimmeln dürfen sie in unseren Archiven nicht.“ Man konnte aber noch etwas Anderes mit ihnen anfangen — sie prüfen und einer Kritik unterwerfen.
[Notes for §86 here]
§87 Ein Abgeordneter der Städte, der später für die Emancipation auftrat, hielt diese Kritik für so unnöthig, daß er sogar bemerkte: „die politische und religiöse Seite der Frage über die Emancipation glaube ich nach dem Trefflichen, das hierüber in unserer Versammlung gesagt worden ist, nicht ferner beleuchten zu müssen.“
[Notes for §87 here]
§88 Nachdem endlich noch ein Paar Abgeordnete dem „Vortrefflichen, was für die Emancipation gesagt ist,“ und den „glänzenden Vorträgen ausgezeichneter Redner,“ die vor ihnen aufgetreten, eine Lobrede gehalten hatten, erklärte sich der Herr Landtagsmarschall mit den Worten: „die Gründe, die dafür sprechen, den Juden die Gleichstellung in bürgerlichen Rechten zu gewähren, sind vollständig vorgetragen,“ für den Antrag des Ausschusses.
[Notes for §88 here]
§89 Mit 54 Stimmen gegen 19 erklärten sich die Stände dafür, daß die „völlige Gleichstellung der Juden in bürgerlicher und politischer Hinsicht mit den christlichen Unterthanen Sr. Majestät“ wünschenswerth sey. Die Majorität vereinigte sich demnach dahin, Seine Majestät zu bitten, „die Wegräumung aller noch bestehenden Hindernisse zur völligen Gleichstellung u. s. w. vorzubereiten und deren Beseitigung herbeiführen zu wollen.“ —
[Notes for §89 here]
Pauperismus ➡