§1
Du kannst ungeschickt schreiben, ohne daß dein Styl unschön zu nennen ist. Dein Styl ist vielleicht wie ein stätiges Roß: es bäumt sich und will nicht vorwärts; aber endlich muß es doch wieder zur Erde und dann zwingst du es, eine Zeit lang eben fortzugehen. Solch ein Styl mag oft genug halsbrechend sein, doch hinterläßt er keinen unangenehmen Eindruck. Oder deine Schreibart ist steifgliederig; sie holpert bei jeder Unebenheit: sieht man aber nur, daß du troß allen Holperns dein Ziel unverrückt im Auge behältst, so läßt man sich das Bischen Aufenthalt schon gefallen. Oder dein Styl fährt daher wie ein ungleichmäßiger Wind, bald heult er, dann ist er wieder sanft und dann legt er einmal in einzelne Rucke seine ganze Kraft.
§2
Die Verfasserin von Godwie Castle schreibt auch einen schlechten Styl, aber ihr Styl gleicht keinem der oben beschriebenen. Man hat Alles an ihr aristokratisch finden wollen und folglich auch ihre Schreibart. Im Gegentheil finde ich ihren Styl recht hausmütterlich, recht mittelständisch. Wer abgebrochen schreibt, ohne Construction den Satz hinwirft und am liebsten das Verbum ganz vorn oder an das Ende des Satzes stellt, gleich als müsse diese Seele des Satzes immer auch die Spize desselben bilden, wer das Adjectiv gern hinter das Hauptwort bringt, gleich als wolle er hiermit die Subordination des Beiwortes andeuten, kurz wer, wie ein Herr dem Diener, es dem Leser überläßt, in den hingeworfenen Worten einen Sinn, ein Ganzes zu finden und sich die Worte unterthänigst zurechtzusehen; der schreibt stockaristokratisch: die Geseze, an welche der Troß der Schriftsteller gebunden ist, existiren für ihn nicht: er hat seine Schreibart als Naturgabe von Gottes Gnaden und würde es für gar zu bürgerlich halten, durch eigenes Verdienst, eigene Mühe, die Sprache zu unterwerfen.
§3
Die Verfasserin von Godwie Castle scheint nur nachlässig zu schreiben: bei genauer Betrachtung ihres Stiles finde ich aber, daß sie sich große Mühe giebt, als gute Hausfrau mit den eingebildeten Reichthümern ihrer Sprache zu schalten: nicht als ob sie sparsam mit Worten und karg mit Ansichten wäre: im Gegentheil: sie stellt ihre Prunksachen gern zur Schau, bei jedem Besuch, den wir ihr machen, sucht sie uns durch Ueberladung von Puß zu blenden; oder, um zu der prosaischen Schulsprache von Beckers Grammatik zurückzukehren, fast jeder Saz in ihren Romanen leidet an einer allzugroßen Fülle von Beiwörtern und Nebenbestimmungen, welche für den hausmütterlichen Sinn der Verfasserin vielleicht Bedeutung haben mögen, dem Leser aber überflüssig und störend erscheinen. Fast jeder ihrer Säße macht auf uns den Eindruck jener bürgerlichen Pußstuben, in welchen die Hausmutter alle Pretiosen, die sich in grader Linie vom Urältervater herab vererbt haben, aufgestellt hat. Da muß denn natürlich die rechte Verbindung und Beziehung fehlen, oder, um wieder mit Becker zu reden, die Sastheile entsprechen sich nicht, die Construction fällt auseinander. Die Verfasserin von Godwie Castle ist so beeifert, uns ihre Reichthümer einzeln und pretentiös zuzuzählen, daß sie am Ende die Reihenfolge vergißt, in der sie das thut. Man lese folgenden Sat: „Leise aufhorchend so vielen Wundern, sie alle belauschend mit kindlich wachsamem Auge, so vertraut damit, so beseligt dadurch und zugleich so schüchtern, so behutsam, als könne ein zu kühnes Hinblicken oder Berühren die kleinen fleißigen Arbeiter (die Waldblumen nämlich) in ihrem Aufblühen, Duften und Reifen stören — so glitt Fennimors leichter Fuß durch die Pracht des Sommers.“ St. Roche II. 195. Ist nicht dieser Weiberfuß, welcher Ohren und Augen und Seeligkeit und Schüchternheit und Hände hat, werth, in dem Spiritus dieser Literaturzeitung aufbewahrt zu werden, dieser sentimentale Weiberfuß, welcher geeignet ist, eine Erfindung Matthissons zu sein?
§4
Ueberhaupt ist die Verfasserin von Godwie Castle nicht sehr glücklich, wenn es gilt, eine vernünftige Beziehung und Verbindung der Ausdrücke herzustellen. Sie ist zwar überreich an Wörtern, wie: dagegen, während, doch, darüber u. s. w., Wörtern, welche den Sahbildungen unserer Verfasserin den Schein geben, als ob sie in vollständig geschlossener Verbindung dahergingen, aber man betrachte nur folgenden Satz: „Ihre einzige Tochter, in einer so vollendeten Schönheit, so abweichend von Allem, was man vor ihr „darunter“ verstanden hatte“ (Godwie Castle I. 24): und man wird finden, daß die Verfasserin auch mit diesen Worten nur eine geschwäßigbehäbige Unbestimmtheit erreicht. Wie großartig der S. 109 mit „dagegen“ eingeführte Gegensatz: „dagegen mußte Lovelace den Thee aufsetzen.“ Wie bezeichnend das „eigentlich“ in Thomas Thyrnau, I. 37: „dieses war ein „langes“ Besitzthum der „eigentlich“ venetianischen Ursprungs sich rühmenden Familie Morani.“ Ein wie klares Bild von der Phantasie der Verfasserin giebt uns, St. Roche, Theil II. S. 207, die Häufung der Participien, in welcher satzartigen Mißgeburt die Verfasserin einige gewöhnliche Ansichten über die Phantasie anmaßungsvoll zum Besten giebt. Welch gewichtiger Gedanke in dem Ausspruch einer als geistvoll charakterisirten Fürstin: „vielleicht gelingt uns noch Manches“ (Thomas Thyrnau I. 397). Wie gemüthlich stimmen uns die „doch“ und „auch“, die „wenn“ und „da“ etc. in folgendem kunstreich verschlungenem Satze. (Godwie Castle I. 80.) „Graf Archimbald versäumte dagegen nie, das Opfer der Mutter wohl erkennend, eine Gelegenheit, den Sohn ihr zuzuführen und die Herzogin war endlich auch nicht gleichgiltig gegen die Aussicht, ihren Sohn in die Rechte des Grafen Archimbald treten zu sehen, da, wenn es auch unentschieden blieb, ob der Oheim aus Liebe zum Neffen der Ehe entsage oder die Entsagung der Ehe ihm zum Neffen geführt, doch die Hauptsache entschieden schien, daß der Graf sich nicht vermählen und Richmond sein Erbe sein werde.“
§5
Wir werden noch im Verlauf dieser Abhandlung Gelegenheit haben, den Leser durch Anführung einiger Satzconstructionen heiter zu stimmen.
§6
Möge aber der Leser bei seiner Heiterkeit nicht übersehen, daß die Stilfrage, die wir hier anzuregen versuchten, auch ihre ernste Seite hat. Die Verfasserin von Godwie Castle steht mit ihrem gedankenlosen Stile nicht allein: die Häufung ungehöriger Beiwörter, die schlotterige Verbindung der Satztheile, das Sichgehenlassen in der Zusammenstellung von Begriffen, die gar nicht zu einander passen, findet sich heutzutage nur gar zu sehr in Zeitungsartikeln, gelehrten Abhandlungen und Romanen: überall eine geringe Aufmerksamkeit auf sich selber: überall der Beweis, daß man es nicht der Mühe werth hält, dem Publikum einen klaren Gedanken zu bieten. Und man hält es nicht der Mühe werth, weil man sich selber von seinen Gedanken keine Rechenschaft giebt, weil man sich selber so reich glaubt im Denken und Sprechen, daß dieser Reichthum weder der Beaufsichtigung, noch der Oekonomie bedürfe, und weil man auch das Publikum für so klug und gedankengesättigt hält, daß man ihm schon mit halben Worten Alles gesagt zu haben meint. Die deutsche Literatur hat jetzt wenig Schriftsteller aufzuweisen, welche die Sprache und den Gedanken mit Kritik und Besonnenheit handhaben: man ist matt von dem Hin- und Herwenden derselben Gedanken, man wird es bald dahin gebracht haben, daß Schriftsteller und Publicum sich gegenseitig anekeln. Sage man nicht, daß die Censur allein hieran schuld sei; daß sie den Gedanken unterdrücke. Die Hauptschuld trägt die Masse, welche sich für zu klug hält, um das Gründliche, Lebendige hören zu wollen, die Masse, welche beaufsichtigt sein will und die am ersten empört sein würde, wenn ein gründliches Wort sie aus ihrer Selbstgefälligkeit aufschrecken wollte.
§7
Die Verfasserin von Godwie Castle hat einen reichen Schatz von Selbstgefälligkeit. Ist es doch gerade, als ob sie uns ihre Worte zuzähle, und uns bei jedem Worte aufmerksam machen wolle, wie schön das gesagt sei. Sie ist so stolz auf ihre sieben Sachen, daß sie es gar nicht mehr für nöthig hält, die Gedankenwelt zu studiren; sie fühlt sich so behaglich in der Armuth ihres Reichthums, daß sie mit ihm alles zu besitzen glaubt, was nur der denkende Mensch nöthig hat. Man sieht, sie ist eine von denen Damen, welche sich einbilden, daß sie an der „Selbstbildung“ genug haben, daß sie des Lernens entbehren können und daß sie in ihrer „Gefühls- und Gemüthswelt“ die ganze Welt im Kleinen besitzen. Sie hat sich ja „von innen herausgebildet,“ und da muß man ihr ihren unmenschlichen Stil nicht blos nachsehen, nein man muß ihn originell, geistreich finden. Ja, die Verf. von Godwie Castle ist originell, aber gerade so, wie ein kleiner Junge, der noch nicht das Abc kennt, originell ist.
§8
Diese Originalität, welche wir die kindische nennen müssen, und welche heutzutage nur gar zu sehr Allgemeinbesitz zu werden droht, versteht es nicht und kann es nicht verstehen, den Menschen auf eine würdige Weise aufzufassen. Die Verfasserin von Godwie Castle hat sich bestrebt, in ihren Romanen idealische Menschen, so rechte Kernmenschen zu schildern, wir werden finden, daß ihre Auffassung des Menschen und der menschlichen Verhältnisse ebenso matt und schlaff d. h. ebenso unästhetisch ist, wie ihr Stil.
§9
Die Verfasserin hat natürlich das Geleise der gewöhnlichen Romane, Lustspiele und Tragödien nicht verlassen: die Liebe und ihre Collisionen, welche entweder durch eine Heirath oder durch den Tod gelöst werden, bildet den Mittelpunkt auch ihrer Romane. Wir werden durchführen, daß eine Kinderei, wie die sogenannte Liebe, eine Leidenschaft, die übrigens heutzutage ziemlich mythisch geworden ist, eben auch nur kindische und halbe Personen brauchen kann. Wir wollen von den Collisionen sprechen, in welche sie ihre ergebenen Diener versetzt.
§10
Die Liebe ist der Moloch, dem die heutige Aesthetik opfert. Sie ist eine grausame Göttin, welche, wie jede Gottheit, den ganzen Menschen besitzen will und nicht eher zufrieden ist, als bis er ihr nicht blos seine Seele, sondern auch sein physisches Selbst dargebracht hat. Ihr Cultus ist das Leiden, der Gipfel dieses Cultus ist die Selbstopferung, der Selbstmord. Die Welt ist ihr ein Jammerthal, voll Gewaltthat und Cabale. Ihr Priester muß die Welt überwinden: und er hat erst dann die rechte Weihe, wenn er die Welt zu verlassen und sich entweder mit seinem geliebten „Gegenstande,“ oder wenigstens mit der Erinnerung daran in die Einöde zurückzuziehen beschließt. Ein Hüttchen, ein Stück Brot, das der Liebende mit dem Geliebten theilt, ersetzt ihm die ganze menschliche Gesellschaft, ja er liebt nicht vollständig, wenn er nicht die Gesellschaft seinem „Gegenstande“ zu opfern vermag. „Gegenstand“, das ist der richtige Ausdruck, denn der Geliebte ist ja dem Liebenden nur wichtig als dieses äußere Object seiner Gemüthsaffection, als Object, in welchem er sein selbstsüchtiges Gefühl befriedigt sehen will.
§11
Diesem Moloch also wird auch in den Romanen der Verf. von Godwie Castle geopfert. Da haben wir erstens in Godwie Castle die Gräfin Melville, eine Dame, welche natürlich mit einem ungemeinen Liebreiz und herrlicher Geistesbildung ausgestattet ist und in die sich nach einander verschiedentliche Grafen verlieben. Die unglücklichen Verhältnisse, welche es hindern, daß diese Verliebtheiten zum Ziele kommen, kann man in jedem gewöhnlichen Romane finden, hier sei nur so viel gesagt, daß die Gräfin Melville erst nach „unsäglichen“ Leiden „glücklich“ wird und daß es vor allem ein Sturz vom Pferde ist, der ihr Glück vorbereitet.
§12
Liebesromane müssen sich eben mit äußerlichem Mißgeschick behelfen; müssen in Schilderung abenteuerlicher Vorfälle und geheimnißvoller Verkettungen, welche die Liebenden bald trennen, bald zusammenführen, ihre Hauptaufgabe sehen: denn die Liebe selber, als eine abstracte Leidenschaft, die kommt, man weiß nicht woher, und geht, man weiß nicht wohin, ist des Interesses einer innerlichen Entwickelung unfähig.
§13
Da ist ferner in St. Roche Fennimor, die kleine Pfarrerstochter, die an der Liebe stirbt, da ist Franciska, die erst nach Jahren von dem Blödsinn geheilt wird, in den sie aus Liebe verfallen.
§14
Und die unglücklichen Collisionen, nun worin können sie anders bestehen, als in dem Unterschied des Ranges, der Abkunft u. s. w.? Die Gräfin von Melville -- in G. C. -- ist unbekannter Herkunft, vielleicht gar die Bastardschwester der von Nottingham, welche sich in sie verlieben. Da erhebt sich denn also zuerst der „Geist der Familie“ gegen eine so unpassende Liebe. Der eine von Nottingham, der sich noch nicht in die Gräfin verliebt hat, weil er sie noch nicht gesehen, spricht sich gegen den andern von Nottingham, welcher bereits in die Gräfin verliebt ist, folgendermaßen aus: „du mit deinen blonden Locken und deinen blauen Augen, ein geborner Nottingham, in dessen jugendlichem Angesicht die Züge des ersten Ahnherrn liegen, als Gewähr für seine auf dich verpflanzten Tugenden, du solltest der erste werden, der dem eben so glorreichen Geschlechte unserer Ahnmütter ein wenn auch noch so schönes doch ein namenloses, ein „zweifelhaftes“ Mitglied zugesellte? Sag, was du willst, ich glaube diesen Worten nicht, ich glaube deinem „bessern Selbst“ und deiner männlich festen Seele.“
§15
Dieselbe Collision in St. Roche.
§16
Dieselbe Collision nur noch mit einer unschönen Beimischung in Thomas Thyrnau. Der von Lacy, natürlich aus uraltem Geschlecht aus den Zeiten Wilhelms des Eroberers, liebt die ältliche Jungfrau, die Fürstin Morani: er überredet sie, sich mit ihm zu verloben. Meta, die Enkelin des Advokaten Thomas Thyrnau, ist ihm von seinem Oheim zur Gattin bestimmt: doch er hat drei Gründe, sie nicht zu heirathen: erstens ist sie bürgerlicher Abkunft, zweitens hat er einen Abscheu vor jeder Zwangsheirath, und drittens hat er sie noch nicht gesehen, folglich sich auch noch nicht in sie verlieben können. Kaum aber hat er sie, ohne zu wissen, wer sie ist, gesehen, da regt sich auch etwas in ihm.
§17
Und als er nun gar erfährt, daß dieser schöne Schatz für ihn bestimmt war, ja daß das Mädchen in ihn verliebt ist, da will ihn doch seine Verlobung mit der ältlichen Jungfrau schon in etwas gereuen: aber er hat sein Wort gegeben, das muß er halten: er heirathet die Fürstin Morani, mit dem Wurm einer Doppelliebe im Herzen. Solch eine Collision mag für Herrschaften, welche bei gewissen Speisen etwas Anrüchigkeit und halbe Fäulniß lieben, genießbar sein; wir nennen sie ekelhaft, ja mehr als das: kindisch. Glück genug, daß die gute alte Fürstin im ersten Kindbett stirbt, wozu etwas Krieges- und Hungersnoth das ihrige beitragen: so daß dann am Ende, freilich nach noch einigen sentimentalen Herzensleiden, Meta die glückliche Gattin des von Lacy wird.
§18
Wie ist es nun möglich, daß Romane, in denen eine so kindische Leidenschaft zur Gottheit erhoben ist, uns die Schilderung ganzer und männlicher Charaktere liefern? Darf doch der Liebesgläubige nur demjenigen, welcher sich seiner Gottheit beugt oder wenigstens ihr sich gebeugt hat, auf die Attribute der Güte, des Edelsinns, der Tugendhaftigkeit Anspruch gestatten: ist es doch diese Gottheit allein, welche uns mit der Weihe jener Attribute versieht.
§19
So hat uns denn die Verf. von G. C. lauter halbe und kindische Charaktere gezeichnet, Männer, die eines Frauengesichtes wegen zu Narren werden, oder vielmehr Narren genug sind, sich zu verlieben; die einige hochtrabende Phrasen im Munde führen und die freilich nach der Versicherung der Verf. alles edle, ehrenwerthe Leute sind, die uns aber deshalb am merkwürdigsten erscheinen, weil sie bei recht angreifenden Gelegenheiten eine Fülle von Thränen in Bereitschaft haben. Von den Frauenzimmern will ich gar nicht reden, denn wir sind gewohnt, in Liebesromanen sie eben nur als Gefäße des verliebten Zornes behandelt zu sehen.
§20
In der sogenannten Liebe ist das Individuum beschränkter, egoistischer, als in irgend einer andern Leidenschaft: sie ist das Urphiliströse und daher für unsere beschränkten Poeten der Urquell aller Poesie: es kann aber nicht fehlen, daß der Liebespoet bei seiner Schilderung der Liebe in Plattheiten verfällt. Wir haben oben von dem Stil der Verf. von G. C. im Allgemeinen gesprochen; hier führen wir einige von ihren Liebes-Sätzen an: G. C. I. 295.: „die Stunde des jungen Mannes hat geschlagen.“ II. 108. „Richmond hatte unwillkührlich seine bewegten Augen während sie sprach, zur Erde gesenkt, er genoß den Ton dieser klangvollen Stimme und schon schwieg sie, aber der „gewandte junge Mann“ schien um die Antwort verlegen. Er hob die Augen zu ihr auf, sein Blick traf den ihrigen und zwei schöne Seelen hatten sich erkannt.“ II. 168. „Es ward ihm zur höchsten Seligkeit, sich sagen zu können, er werde von ihr verstanden und anerkannt, und als sein Blick, belebt von dieser Empfindung, den ihrigen suchte, da sank er hinter den feinen Schleier der langen seidenen Augenwimper.“
§21
Wer so unklare, so gezierte Abgeschmacktheiten schreibt, wer uns mit altem sentimentalem Kram unterhalten will, als wäre die Welt heut noch so unbefangen, wie zu den Zeiten, als des Hofrath Winklers Abendzeitung blühte, der mag uns immer weiß machen, daß er uns lauter idealische Charactere schildere, der mag uns immerhin die schönen Nasen, die blauen Augen, die herrlichen Taillen seiner Helden und Heldinnen malen, und bei der Verf. von G. C. sind fast alle Menschen schön, liebenswürdig: wir können an all diesen Leuten kein Interesse nehmen. Nur weil uns ihre Unbedeutendheit so bedeutend gemacht wird, möchten wir beinahe auf sie ärgerlich werden, möchten wir in diesem unserem Aerger die junge Herzogin in G. C. eine eifersüchtige, hoffährtige Närrin, die alte Herzogin eine Schwätzerin, möchten wir den von Lacy in Thomas Thyrnau einen langweiligen Hohlkopf nennen, und den Thomas Thyrnau selber doch — davon später.
§22
Wo die Verfasserin von G. C. recht natürliche oder recht schlechte Charactere zeichnen will, da macht sie nun gar Carricaturen. Und worin besteht ihre Natürlichkeit? Die kleine Fennimor, das Naturkind in St. Roche, glaubt an Gott, das liebevolle, allgerechte höchste Wesen, und bewundert die Blumen des Waldes. Meta, die trotz aller Bildung ihre Natürlichkeit bewahrt hat, möchte die Blumen wachsen hören (Thomas Thyrnau II. 180). Und des Schlechtesten aller Schlechten, des Marquis von Souvre (in St. Roche) Schlechtigkeiten haben, wie die Verf. von G. C. auf vielen Seiten entwickelt, nichts als den Neid zur Quelle. So ist die Verfasserin selbst in der Darstellung der Bosheit kleinlich. In Thomas Thyrnau spielt auch ein sogenannter schlechter Character eine Hauptrolle: das ist ein böser Fürst, der die Frau seines Sohnes verführen will, und seine Enkel morden läßt, der ein unschuldig Mädchen entführen läßt und einen Biedermann in einen Hochverrathsproceß verwickelt: kurz ein rechtes Exemplar von einem Bösewicht, kaum von einem Spindlerschen übertroffen: aber warum ist dieser Mann so schlecht? blos aus Mangel an Religiosität. Es gelingt der unschuldigen Meta, ihn auf seinem Todbette zu bekehren: zwar rührt ihn der Schlag, als er das Vaterunser beten will, dafür hat er aber Hoffnung auf ein seliges Leben; er bereut alle seine Schlechtigkeiten.
§23
Die Religiosität, wie sie Fennimor und Meta und alle ehrenwerthe Leute in den Romanen der Verf. von G. C. besitzen, wird überhaupt als das erhabenste Gefühl dargestellt, das der Mensch sich zu eigen machen, als die einzige Grundlage, auf der er handeln soll. Eine Religiosität, die Niemandem, auch nicht dem Andersdenkenden, etwas zu Leide thut, die Alles mit dem Blicke der Liebe betrachtet, kurz eine rechte oberflächliche und weichmüthige, keine glaubenseifrige Religiosität. Eine Religiosität, die nicht gründlich in die Verhältnisse eingeht, die mit dem Schein zufrieden ist, und Jeglichen zur Zufriedenheit auffordert. Eine Religiosität, die Alles ausgleicht, und welche findet, daß der liebe Gott die Welt, so wie sie ist, recht schön gemacht hat. Diese Oberflächlichkeit wagt es nicht, ein Verhältniß, welches ekelhaft ist, beim rechten Namen zu nennen: vielmehr weiß sie wegen ihrer „gleichen Liebe zu Allen“ bei jedem Dinge die gute, die beruhigende, die ehrenwerthe Seite herauszufinden.
§24
Z. B. wie die Verfasserin von dem Verhältniß Ludwigs XIV. zu seiner Gemahlin Maria Theresia spricht: „die leidenschaftliche Liebe, die Maria Theresia für ihren Gemahl empfand, hielt alle „Prüfungen“ aus, die das „abschweifende Gefühl“ des Königs ihr auferlegte und sicherte diesem Verhältniß eine „große Innigkeit“ und eine „achtungsvolle Behauptung des Anstandes,“ da der König immer gern und voll Ehrerbietung zu einer Gemahlin zurückkehrte, die niemals Gefühle zu ertrotzen suchte, weil sie dazu Rechte besaß, und deren Vorwürfe fast nur in der Erschütterung bestanden, die mit ihrer Freude, ihrem Glück bei seiner Wiederkehr hervortrat.“ (St. Roche II. 140.). Hier wird jene Religiosität geradezu unsittlich und in ihrer Nächstenliebe beschönigt sie ein Verhältniß, welches sie ihrem Standpunkte gemäß schlecht nennen müßte.
§25
Für diese oberflächliche Lebensanschauung der Verfasserin, welche sich den Menschen nur als Knecht einer sogenannten edlen Leidenschaft oder irgend eines andern Gefühls denken kann, brauchen wir das Wort Laquaisgesinnung.
§26
Der Laquai lebt in Aeußerlichkeiten, Kleinigkeiten: ein schönes Schloß, eine prächtige Herrschaft ist sein Stolz: es ist daher nicht ohne Bedeutung, daß die Verfasserin von Godwie Castle nur die Schicksale hochadliger Familien schildert und daß sie einen langweilenden Wortschwall anwendet, um Terrassen, (ihre Lieblinge) Schlösser, Parkanlagen, Kuhställe u. s. w. zu beschreiben. Sie fühlt sich so recht behaglich, wenn sie das Verhalten, die Uniform der Dienerschaft und das bequeme Leben der Herrschaften schildert, z. B. „die in der Hauslivree nicht in Gala, die erst zu Mittag eintritt, versammelten Diener sind um diese Zeit, von den Stühlen entfernt, zu der Bedienung des Schenktisches versammelt, oder paradiren in stummer Aufmerksamkeit, bis ein Pfeifchen, ein Wink, ein Ruf von der Tafel herschallt, der ihre Hilfe begehrt. Jeder kennt den ihm eigen zugehörigen Dienst und kein unruhiges Sausen der sich überrennenden Diener stört die freie Bewegung der Herrschaften und ihre heiter waltende Laune.“ (B. C. I. 263). Dafür wird denn auch die Dienerschaft von ihrer Herrschaft mit der „größten Rücksicht“ behandelt. (Thomas Thyrnau III. 484).
§27
Für diese Laquaigesinnung sind natürlich Frühstücke, Mittagsmahle Ereignisse, die der Aufmerksamkeit und genauen Beschreibung bedürfen: künftige Philologen, welche nicht ermangeln werden, die Romane der Verf. von G. C., schon der Dickleibigkeit ihrer Theile wegen, für classisch zu erklären, werden hiermit von uns aufgefordert, nachzuzählen, wie oft in diesen Romanen ein Frühstück, ein heiteres Mittagmahl adliger Herrschaften geschildert wird. Wir wollen nur eine Stelle anführen, welche das Frühstück in gar jämmerliche Beziehung zu den Seelenzuständen bringt. Nachdem die Verfasserin (G. C. I. 290.) ein langes und breites über das Geleis der Lebensgewohnheiten gesprochen, fährt sie fort: „verändert in ihrem Innern, verändert in ihren Beziehungen zu einander, verändert endlich in ihren Plänen und Hoffnungen finden wir die Familie „nichts destoweniger“ um das Frühstück in der Halle ohne Ausnahme versammelt.“ Und noch eine andere Stelle (St. Roche II. 30.) in welcher die Verfasserin das sanfte Einschlafen des von vielerlei Geistesqualen gepeinigten Grafen Leonin schildert: „aber wenn körperliche Ermüdung zu einem überfüllten Seelenzustande hinzutritt, der uns doch die augenblicklich äußere Ruhe gönnt, pflegt die erstere zu siegen und der Schlaf die Pforten des Lebens zu verschließen. Leonin schlummerte so sanft u. s. w.“
§28
Den kleinen Liebes- und Familiengeschichten, welche die Verf. in ihren Romanen schildert und an deren Schluß sie immer zur rechten Zeit eine oder ein Paar glückliche Ehen zu stellen weiß, hat sie einen sogenannten großartigen Hintergrund gegeben: ihre Romane haben einen historischen Anstrich, weil sie versucht hat, gekrönte Häupter in dieselben einzuführen. Das mußte sie aber thun, denn wie konnte sie die Schicksale ihrer adligen Familien vollständig schildern, wie ihnen den gehörigen Glanz geben, wenn sie nicht einen fürstlichen Willen in ihre kleinen häuslichen Angelegenheiten mischte?
§29
Sie hat eine große Vorliebe für diejenigen Fürstengeschlechter, welche wir vor Allem die legitimistischen nennen. Die Stuarts in G. C., die Bourbonen in St. Noche, die Habsburger in Thomas Thyrnau, diese Geschlechter, in denen sie einen Schatz von Geist, Liebenswürdigkeit, Gerechtigkeitsliebe, Herrscherhoheit entdeckt, spielen in ihren Romanen eine Rolle. Da wird denn Carl I. bedauert; da muß Ludwig XIV. aller historischen Wahrheit zum Trotz ein göttlich-schöner Mann und väterlicher Monarch sein, da „gab es vielleicht nie ein vollkommneres Paar als Franz I. und Maria Theresia“ von Oesterreich (Thomas Thyrnau 1, 78).
§30
Die Verf. weiht den Menschen nicht blos dem Cultus der geschlechtlichen Liebe; sie zeichnet auch (Th. Thyrnau 1, 79) die „Unterthanenliebe“ als das „schönste, reinste Gefühl der menschlichen Brust.“ „Eine Liebe, welche lebt, ohne die gewöhnliche Nahrung der Erwiederung zu bedürfen, ein Gefühl, das leer ist von jedem Egoismus, das nichts will und nöthig hat, als das Glück zu lieben; das den erhabenen Gegenstand, dessen Stimme vielleicht nie an das Ohr dessen drang, der es nährt und ihn dennoch mit derselben Wärme durchdringt, die ihn Leben, Gut und Blut freudig darbringen läßt für die Erhaltung desselben, dieses Gefühl, dessen höchste Reinheit ich als den Triumph der menschlichen Befähigung erkenne.“
§31
Dieser Satz ist schlechterdings nicht zu construiren: ein Beweis mehr für den Einfluß, welchen die Anschauungen, in denen sich die Verf. bewegt, auf ihren Geist ausgeübt haben.
§32
Wie die Verfasserin dem Menschen die Aufgabe stellt, daß er an Gott glaubt, und sich in „treuer, kindlicher Gesinnung“ (T. T. 1., 237) seinem Herrscher unterthan macht, so findet sie in Thomas Thyrnau das Ideal der freien Männlichkeit erreicht, in Thomas Thyrnau, der auf Gott und seine Rechtseinsicht pocht und der, nachdem er lange auf „Abwegen der Schuld“ umhergeirrt, nachdem er, der Unterthanentreue vergessend, sein Vaterland Böhmen vom Joche Oestreichs zu befreien gedacht, endlich in Maria Theresia das Herrschergestirn aufgehen sieht, welches der Welt die Strahlen der Vernunft und Freiheit senden wird.
§33
Die Verfasserin von Godwie Castle meint in der Vorrede zu ihrem ersten Romane, sie wolle dem Publicum „nur ihr Werk, nicht ihren Namen darbieten.“ Daran thut sie sehr recht. Uns ist übrigens ihre Person sehr gleichgültig: wir haben nur an ihrem Beispiele zeigen wollen, mit wie kleinlichen Interessen unsere Belletristik sich aufzuspreizen wagt, ich habe zugleich an dem Beispiel dieser Lieblingsschriftstellerin des gebildeten Publikums gezeigt, wie es mit der Kritik der lesenden Masse steht. Wer die Oberflächlichkeit liebt, wer das kritische und gründliche Eingehen in den Geist und in die Lebensverhältnisse des Menschen Bosheit nennt, wer sich an scheinbar anständigen Redensarten ergötzt, die die Schäden übertünchend und das Unbedeutende verherrlichend dem Anstand der Wahrheit zuwiderlaufen, wem eine kleinliche Schilderung adligen Lebens als ein wahres Kunstwerk erscheint, wem eine Liebesgeschichte die „heiligsten Interessen, die göttlichen und menschlichen Gesetze der Gesellschaft“ umfaßt, der mag die Erzeugnisse der Verfasserin von Godwie Castle lesen.
§34
Ich habe dieselben gründlich studirt. Und es scheint mir nun, als ob ich sie nur deshalb so gründlich studirt habe, um zu zeigen, daß sie bei einer gesunden Literatur keiner gründlichen Besprechung werth gewesen wären.