§1
Im November vorigen Jahres gab Carl Reichardt eine Schrift unter dem Titel: „das Preußische Bürgerthum, dargestellt von einem Manne aus dem Volke“ in Druck. Der erste Bogen dieser Schrift ward bis auf die lezte Seite, der zweite Bogen zum Theil gestrichen. Carl Reichardt wandte sich an Ein hochlöbliches Ober-Censurgericht, dessen Entscheidung in der ersten Hälfte des Januar der Egbert Bauerschen Buchhandlung zugegangen ist. Durch dieselbe ist die vom Herrn Censor ausgesprochene Versagung der Druckerlaubniß aufgehoben, bis auf drei Worte, denen die Druckerlaubniß entzogen bleibt. Der Herr Censor hatte sich bei Versagung der Druckerlaubniß auf Artikel IV. der Censur-Instruction vom 31. Januar 1843 berufen. Ein hochlöbliches Ober-Censur-Gericht entscheidet, daß „sich im Allgemeinen in den Aeußerungen Carl Reichardt's kein Verstoß gegen die Vorschriften dieses Artikels findet.“
§2
Dies ist ein strenger Widerspruch. Wir theilen den ersten Bogen seinem Hauptinhalte nach mit: vielleicht findet der Leser, wie dieser Widerspruch in die Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz kommen konnte.
§3
„In dem gegenwärtigen Verhältnisse, meint Carl Reichardt, finden sich allerdings Zeugnisse von Noth und Zerstörung der bürgerlichen Glückseligkeit.
§4
Diese Verhältnisse gründen sich auf das Gewerbegesetz vom 7. März 1810 dies Gesetz gab Gewerbefreiheit: es führte die Form, in welcher der neue Bürgerstand existirt, herbei. Dies Geseß, diese Gewerbefreiheit, welche, wie es klar ist, im innigsten Zusammenhange mit der jeßigen Bedrängniß stehen, dies sind die Gegenstände, welche ich mit Berücksichtigung der frühern bürgerlichen Verfassung behandeln will.
§5
Die Intelligenz des Volkes, die hier besonders in Anschlag gebracht werden muß, kann sich für lange Dauer unmöglich mit den Principien verständigen, unter denen es die Früchte seines Fleißes nicht selbst genießen darf, sondern den ganzen Gewinn der Produktion und merkantilischen Thätigkeit in die Hände weniger Capitalisten übergehen sieht.“
§6
Es existiren also, meint Carl Reichardt weiter, Mängel, Noth, Gebrechen: und doch haben wir eine Vertretung der Städte und Provinzen. Sollten diesen Institutionen, in welche der König doch sicherlich seine Bedeutung legte, und von denen wir nicht anders glauben können, als daß sie zur Beaufsichtigung der Volksexistenz eingerichtet sind, unwirksam und nußlos sein? „Gesezt auch: die preußische Regierung wolle der öffentlichen Meinung kein oppositionelles Recht einräumen, so darf dies die Volksvertreter in der Ausübung ihres Berufs nicht irre machen. Wenn sie auch bei ihren Berathungen nicht durch den Impuls der Oeffentlichkeit zu einem edleren Ehrgeiz gespornt werden konnten, wenn auch kein Volk von Zuhörern durch stürmischen Beifall die Wände erzittern lassen kann. Sie sind jedoch immer Männer, Sprecher.
§7
Hätte wohl die Regierung alle eure Reden ungehört gelassen, wenn ihr es verstandet, wirklich volksthümliche und öffentliche Dinge zu verhandeln!
§8
Es ist wahr! es war ein Act der Gnade, als der König Versammlungen von Städtebürgern gestattete. Soll aber eure ganze Thätigkeit fortan nur darin bestehen, auf neue Acte der Gnade zu warten? Ihr klagt die Regierung thue nichts; aber handelt selbst, und gebt der Regierung etwas zu denken und zu thun.
§9
Redet! und man wird auch hören. Aber ihr müßt auch so reden, daß ihr des Hörens werth seid.
Wo zwei oder drei ächte Männer zusammen sind, und zwar im Geiste des Staats zusammen sind, solche Männer reden gewiß hörbar, und für die Interessen der Gesammtheit: hörbar selbst durch verschlossene Thüren hindurch: für das Volk, selbst wenn es nicht zugegen ist. Das Gesammtinteresse ist nicht dazu gemacht, in die vier Wände eingesperrt zu sein, es trete nur auf, und es wird die vier Wände sprengen.
§10
Den Provinzialständen steht es frei zu bitten: ich sag nur, daß es eine würdige Art zu bitten giebt, auf welche die Verweigerung schwer wird. So aber zu bitten! daß heißt: der Bitte ein offenkundiges Interesse für den Nebenmenschen, eine vernünftige Darlegung der Verhältnisse zur Seite zu stellen, dazu gehört eine durch die Liebe zur Gesellschaft geläuterte Erfahrung.
§11
Der Bürger hat also die Anknüpfungspunkte, seine Sache zu führen, nicht benutzt. Nun ist es so weit gekommen, daß unserem intelligenten gewerbsthätigen Volke nur noch zwei Wege offen stehen, um sich sein Leben lang hindurch zu schleppen: daß es nur noch die Wahl hat, entweder durch stinkenden Geiz, Lug und Betrug zum Reichthume zu gelangen, oder mit ehrlicher Denkweise und stetem Fleiß Bettler und arme Hunde zu bleiben für immerdar: Schmeichelt man sich etwa mit der Hoffnung, daß sich das arme Sünderthum bekehren werde: daß es in seinem hoffnungslosen Zustande auf alle Lebensgenüsse refigniren wird?
§12
Ein Volk, das erst vernünftig hat denken gelernt, will auch vernünftig leben, es will die Früchte seiner Thätigkeit auch selbst kosten; es will im Angesichte der Civilisation nicht darben, sondern leben und froh sein, daß es lebt.“
§13
Das Gewerbegeseß, die Grundlage der heutigen Zustände, durfte unter der Regierung König Friedrich Wilhelm III. feine Abänderung erwarten. „Mit des Königs Jahren entwickelte sich die Herrschaft der Büreaukratie, und gegen diese konnte weder Provinzial- noch Municipal-Freiheit aufkommen. -- Das Volk in Folgsamkeit verehrte den König und mißtraute der Verwaltung.
§14
Das Volk litt -- denn durch das Uebermaaß der Erzeugnisse fand dessen Industrie weder Absaß noch der Arbeiter Beschäftigung. Es hoffte auf Erlösung, auf eine besondere Wendung der Dinge, ohne eigentlich zu wissen, durch welche Wunder die Dinge erscheinen würden.
§15
Da starb der König Friedrich Wilhelm der Dritte.
§16
Die Denkweise, welche bei unserm König vorausgesetzt wurde, gab zu der Vermuthung Anlaß, daß eine wesentliche Veränderung in der Staatsform erfolgen würde.
§17
Die Nothwendigkeit von Reform war gegründet. Allein hier ist zu bedenken, ob diese Reform dem Zweck entsprochen haben würde, den man von ihr erwartete.
§18
Das Volk jubelte; und dieser Jubel mußte dem Fürsten um so schmeichelhafter sein, da verschiedentliche Anträge auf die plötzliche Mündigkeit und Urtheilsfähigkeit dieses Volkes hingewiesen hatten.
§19
Es gab zu erkennen, daß es bei allen revolutionairen Erscheinungen noch nicht verlernt habe, seine Könige zu lieben, und wartete in seiner gewohnten konsequenten Passivität, bis ihm abermals ein Geschenk geboten würde, von dem schwer zu beweisen ist, daß es gerade dem leidenden und bedrängten Theil des Volkes ein wirksames Heilmittel an die Hand gegeben hätte.
§20
Denn die Zeit, in der wir leben, ist kein Machwerk des Augenblicks: Darum können wir auch nicht verlangen, daß sich urplötzlich ihre Gestalt durch das bloße Wort eines einzigen Mannes verändere, und zwar zu unserem Vortheil verändere! -- Hierzu ist mehr nöthig als Concession.
§21
Das war noch das Geringste, daß man die Constitution erwarten zu dürfen glaubte, denn eine Constitution zu geben, das liegt doch wenigstens nicht außer dem Machtgebiet eines Königs. Aber alle waren nicht solche liberale Politiker. Viele, die von einer praktischeren Noth als von der an der Gesetzgebung nicht Theil nehmen zu können, bedrängt waren, glaubten, daß der neue König nur lauter Einrichtungen, um den Arbeiter, den Handwerker, den Kaufmann, den Fabrikanten, und den Millionair vor Hunger zu schüßen, mit auf den Thron bringe.
§22
Solche Einrichtungen aber liegen in keines Menschen Macht. Die Sache muß ihren Gang gehen.
§23
Es blieb also alles wie es war, und der Vernünftige wird sich hierüber weder wundern, noch seine Unzufriedenheit gegen einzelne Menschen richten.
§24
Nachdem Carl Reichardt auf diese Weise die Ansichten der Liberalen zurückgewiesen, schließt er mit folgender Betrachtung:
§25
„Was aber sollen wir thun?“
§26
Wir haben gesehen, daß unsere ehrenwerthen Stadtverordneten und Provinzialvertreter am liebsten zu uns sagen: Vertraut, so wie wir vertrauen; seid mit dem Plaß, auf den ihr gestellt seid, zufrieden, so wie wir mit der Stellung zufrieden sind, welche uns die Regierung angewiesen.
§27
Wir wissen außerdem, daß auch der wohlgesinnteste Monarch nur im Stande ist, die Verhältnisse, wie sie eben bestehen, zu schüßen, nicht die Hoffnungen, die darüber hinaus liegen, zu erfüllen. Wir wissen ferner, daß liberale Politiker sich lieber mit dem Galimatias von Volksrepräsentation, Selbstgesetzgebung als mit dem Volke selber abgeben, das repräsentirt und dem Geseze gegeben werden sollen.
§28
Darum glaube ich, daß ich gerade deshalb, weil ich weder Stadtverordneter, noch Provinzial-Vertreter, noch König, noch politischer Theoretiker bin, sondern weil ich in den Verhältnissen, die ich bespreche, praktische Erfahrung habe, einmal auch ein Wort darein geben darf. Ich will es versuchen, zu beweisen, daß es am besten und Sachgeeignetsten ist, wenn jeder für sich selbst öffentlich spricht, und des Volkes Angelegenheit zum Gegenstande einer literarischen Verhandlung macht.
§29
Hilf dir selber!
§30
Der Druck des „Preußischen Bürgerthums“ wird alsbald von Neuem beginnen und die Egbert Bauersche Buchhandlung hofft, dem Publikum recht bald ein Werk darbieten zu können, in welchem der Verfasser seine Erfahrungen über das Zunftwesen, über die Preußischen Gewerbegeseze und über die Verarmung des arbeitenden Bürgers niedergelegt hat.