Die Liebe
IV. »Die kritische Kritik« als die Ruhe des Erkennens oder die »kritische Kritik« als Herr Edgar
Die heilige Familie, oder Kritik der kritischen Kritik
§67
Wenn die Ruhe des Erkennens in dem wirklichen Menschen keinen Gegenstand besitzt, besitzt sie dagegen in der Menschheit eine Sache. Die kritische Liebe »hütet sich vor allem, über der Person die Sache zu vergessen, welche nichts anders ist als die Sache der Menschheit.« Die unkritische Liebe trennt die Menschheit nicht von dem persönlichen individuellen Menschen.
§68
»Die Liebe selber, als eine abstrakte Leidenschaft, die kommt, man weiß nicht woher, und geht, man weiß nicht wohin, ist des Interesses einer innern Entwicklung unfähig.«
§69
Die Liebe ist in den Augen der Ruhe des Erkennens eine abstrakte Leidenschaft nach dem spekulativen Sprachgebrauch, wonach das Konkrete abstrakt und das Abstrakte konkret heißt.
§70
Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam;
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.
§71
Die Liebe ist für die Abstraktion »das Mädchen aus der Fremde«, ohne dialektischen Paß, und wird dafür von der kritischen Polizei des Landes verwiesen.
§72
Die Leidenschaft der Liebe ist des Interesses einer innern Entwickelung unfähig, weil sie nicht a priori konstruiert werden kann, weil ihre Entwicklung eine wirkliche ist, die in der Sinnenwelt und zwischen wirklichen Individuen vorgeht. Das Hauptinteresse der spekulativen Konstruktion ist aber das »Woher« und das »Wohin.« Das Woher ist eben die »Notwendigkeit eines Begriffs, sein Beweis und Deduktion« (Hegel). Das Wohin ist die Bestimmung, »wodurch jedes einzelne Glied des spekulativen Kreislaufes, als Beseeltes der Methode, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist« (Hegel). Also nur, wenn ihr Woher und ihr Wohin a priori zu konstruieren wäre, verdiente die Liebe das »Interesse« der spekulativen Kritik.
§73
Was die kritische Kritik hier bekämpft, ist nicht nur die Liebe, sondern alles Lebendige, alles Unmittelbare, alle sinnliche Erfahrung, alle sinnliche Erfahrung überhaupt, von der man nie vorher weiß, »woher« und »wohin.«
§74
Herr Edgar hat durch die Überwältigung der Liebe sich vollständig als »Ruhe des Erkennens« gesetzt und kann nun an Proudhon sogleich eine große Virtuosität des Erkennens, für welches der »Gegenstand« aufgehört hat, »dieses äußere Objekt« zu sein, und eine noch größere Lieblosigkeit gegen die französische Sprache bewähren.
§75
Nicht Proudhon selbst, sondern der »Proudhonsche Standpunkt« hat nach dem Bericht der kritischen Kritik die Schrift »Qu'est-ce que la propriété?« geschrieben.
§76
»Ich beginne meine Schilderung des Proudhonschen Standpunktes mit der Charakteristik seiner« (des Standpunktes) »Schrift ›Was ist das Eigentum?‹«
§77
Da nur die Schriften des kritischen Standpunktes von selbst Charakter besitzen, so beginnt die kritische Charakteristik notwendig damit, der Proudhonschen Schrift einen Charakter zu geben. Herr Edgar gibt dieser Schrift einen Charakter, indem er sie übersetzt. Er gibt ihr natürlich einen schlechten Charakter, denn er verwandelt sie in einen Gegenstand »der Kritik.«
§78
Proudhons Schrift unterliegt also einem doppelten Angriff des Herrn Edgar, einem stillschweigenden in seiner charakterisierenden Übersetzung, einem ausgesprochenen in seinen kritischen Randglossen. Wir werden finden, daß Herr Edgar vernichtender ist, wenn er übersetzt, als wenn er glossiert.
§79
»Ich will« (nämlich der kritisch übersetzte Proudhon) »kein System des Neuen geben, ich will nichts als die Abschaffung des Privilegiums, die Vernichtung der Sklaverei... Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit, das ist's, was ich meine.«
§80
Der charakterisierte Proudhon beschränkt sich auf Wollen und Meinen, weil der »gute Wille« und die unwissenschaftliche »Meinung« charakteristische Attribute der unkritischen Masse sind. Der charakterisierte Proudhon tritt so demutsvoll auf, wie es der Masse geziemt, und ordnet das, was er will, dem unter, was er nicht will. Er versteigt sich nicht dazu, ein System des Neuen geben zu wollen, er will weniger, er will sogar nichts als die Abschaffung des Privilegiums etc. Außer dieser kritischen Subordination des Willens, den er hat, unter den Willen, den er nicht hat, zeichnet sich sein erstes Wort sogleich durch einen charakteristischen Mangel an Logik aus. Der Schriftsteller, der sein Buch damit eröffnet, daß er kein System des Neuen geben will, wird nun sagen, was er geben will, sei es ein systematisches Altes oder ein unsystematisches Neues. Aber der charakterisierte Proudhon, der kein System des Neuen geben will, will er die Abschaffung der Privilegien geben? Nein. Er will sie.
§81
Der wirkliche Proudhon sagt: »Je ne fais pas de système; je demande la fin du privilège« etc. Ich mache kein System, ich verlange etc. D.h., der wirkliche Proudhon erklärt, daß er keine abstrakt wissenschaftliche Zwecke verfolgt, sondern unmittelbar praktische Forderungen an die Gesellschaft stellt. Und die Forderung, die er stellt, ist nicht willkürlich. Sie ist motiviert und berechtigt durch die ganze Entwicklung, die er gibt, sie ist das Resumé dieser Entwicklung, denn: »Justice, rien que Justice; tel est le resumé de mon discours.« Der charakterisierte Proudhon gerät mit seinem »Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit, das ist's, was ich meine« um so bedeutender in Verlegenheit, als er noch vieles andre meint und nach Herrn Edgars Bericht z.B. »meint«, die Philosophie sei nicht praktisch genug gewesen, »meint«, den Charles Comte zu widerlegen etc.
§82
Der kritische Proudhon fragt sich: »Soll der Mensch denn immer unglücklich sein?«, d.h. er fragt, ob das Unglück die moralische Bestimmung des Menschen ist. Der wirkliche Proudhon ist ein leichtsinniger Franzose und fragt, ob das Unglück eine materielle Notwendigkeit, ein Müssen ist. (L'homme doit-il être éternellement malheureux?)
§83
Der massenhafte Proudhon sagt:
§84
»Et sans m'arrêter aux explications à toute fin des entrepreneurs de réformes, accusant de la détresse générale ceux-ci la lâcheté et l'impéritie du pouvoir, ceux-là les conspirateurs et les émeutes, d'autres l'ignorance et la corruption générale«, etc.