§34
Es werden hier eine ansehnliche Menge Schriftsteller vorgeführt, welche zum Theil große Werke über Pauperismus geschrieben haben. Einige sind nach des Verfassers Urtheil mit bemerkenswerther Tiefe abgefaßt, dennoch ermangeln sie alle in den Grundgedanken einer reellen Ansicht. Ich habe sie nicht gelesen, ich weiß daher auch nicht, was dieselben über die Fragen der Volksnoth für unrealisirte Begriffe enthalten. Franz Baur hat die von der Erfurter Academie gekrönte Preisschrift angefertigt. Ueber Sie sagt der Verfasser: „was den Grundgedanken betrifft — so wäre dieselbe mit bemerkenswerther Tiefe geschrieben; ihr Verfasser sei aber im Irrthum, daß wenn das deutsche Volk schon große Leiden überstanden habe, wenn es aus Kriegen Hungersnöthen u. s. w. sittlich unverdorben hervorgegangen sei, auch diesmal der Hungersnoth durch seine physischen Kräfte wiederstehen werde.“ Herr Doctor Wöniger nennt jedoch diese unglückliche Constellation, sehr treffend: „einen selbstgefälligen Irrthum“ Mit Manier wird hierauf erwiedert: höchstens ist der Menschenfreund zu einer tröstenden Hoffnung berechtigt: aber dabei sich zu beruhigen, geziemt dem Staatsmann um so weniger, als er weiß, daß keine Zeit in der Geschichte der andern gleicht, daß die Vergangenheit nicht Bürge sein kann für die Zukunft. — „In unserer Zeit und der frühern liegt ein sehr bedeutender Unterschied. Der moderne Pauperismus hat einen politischen Charakter usurpirt, und in denselben ein staatsgefährliches Element aufgenommen; während der alte Bettler sein Loos mit Ergebenheit trug und es als eine göttliche Schickung ansah; frägt der neue Lump, ob er gezwungen sei, armselig durchs Leben zu wandern, weil er zufällig in Lumpen geboren wurde!“ Ueber dieses Rösonnement läßt sich bis auf einige für den großen Haufen unverständliche Fremdwörter nichts einwenden: auch ist die Benennung des Zeitübels („Der schwarze Tod“) nicht so ganz unrecht; anstatt, aber auf drei Seiten Text eine direkte Mahnung an die modernen Staatsregierungen folgen zu lassen, daß sie sich „vornehmlich und aus innern Gründen rüsten sollen gegen den gemeinsamen Feind,“ wäre es vorerst besser gewesen die Gründe des wachsenden Pauperismus an's Tageslicht zu bringen, und sie so einfach als möglich dem allerhöchsten Forum auseinander zu setzen. So lange dies unterbleibt, nützen alle diese Redensarten nichts. Sehr leicht ist gesagt, daß der gesellschaftliche Staatsverein die Armuth geboren, auch sehr leicht hinzufügt, daß es für die Regierungen die heiligste Aufgabe sei gegen das Uebel einzuschreiten: daß es überhaupt ihre Pflicht ist, wissen die Regierungen besser als dies ihnen ein Publicist sagen kann. Sie haben Anstalten zu treffen gesucht, die Armuth durch Beihülfe zu mildern, sind sie mangelhaft, unzulänglich, werden sie schlecht verwaltet, so weise man ihnen die Fehler nach: liegen die Hauptquellen der Volksnoth in den Institutionen des Staates selbst, so wird der Staat jedenfalls eine gründliche Nachweisung als ein nöthiges Argument anerkennen. Herr Wöniger kömmt aber durch seine Dissertation für sein vorgestecktes Ziel zu sehr auf Abwege, und wird bei dem öftern Citiren des sehr geliebten Sprachgebrauches „der Sache durch ein tiefes Eingehen“ auf den Grund zu kommen dennoch so unklar, daß der Leser bei allen guten Reflexionen, welche seine Schrift enthält, nichts weiter als ein Abstractum, eine eigens vorgenommene Absonderung von dem bestimmten Gegenstand selbst findet, wodurch ihm die ganze Gedankenfolge als eine Dichtung erscheint.
[Notes for §34 here]