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Die deutschen Jahrbücher und Dr. Ruges Beschwerde

Deutsch

Author: Unknown  Year: 1844 

§1 An die Hohe Zweite Kammer der Sächsischen Ständeversammlung. Beschwerde über die durch ein Hohes Ministerium des Innern angeordnete und am 3. Januar ausgeführte Unterdrückung der Zeitschrift: „deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst,“ überreicht von dem Redacteur Dr. Arnold Ruge in Dresden und dem Verleger Otto Wigand in Leipzig. Braunschweig, Druck und Verlag von Friedrich Otto 1843.
§2 Die Sächsische Regierung motivirte ihr Verbot der deutschen Jahrbücher durch folgende Gründe: diese Zeitschrift habe aufgehört, eine reinwissenschaftliche zu sein, sie sei auf das praktische Gebiet des Lebens übergetreten; sie habe sichtlich eine allem Bestehenden feindselige Tendenz angenommen: „sie stellte sich nach allen Richtungen hin zur Aufgabe die Negation, ein Verneinen ohne Maaß und Ziel, ein Unterwühlen aller Fundamente des christlichen Staates. Die Jahrbücher verwerfen alle und jede monarchische, selbst die constitutionelle Regierungsgewalt. Alle Theologie ist ihnen Anthropologie.“
§3 Herrn Ruge ist es gelungen, diese Behauptungen zu widerlegen.
§4 Nicht als ob er die Vorstellungsweise, auf welche sich die Verbotsmotivirung gründet, charakterisirt und nachgewiesen hätte, daß sie nicht hinreiche, um durch sie die Kritik, welche die deutschen Jahrbücher übten, zu beurtheilen. Da würde er ja die Anklage bestätigt, er würde gezeigt haben, seine feindselige Tendenz gegen das Bestehende gehe so weit, daß er sogar die Behauptungen der bestehenden Gewalt der unterwühlenden Kritik unterwerfe, daß seine Wissenschaft sich nicht um das Gesetzlich-Anerkannte bekümmere, daß sie folglich Staat und Religion stürze.
§5 Vielmehr beweist Herr Ruge, daß er das Bestehende, daß er den Staat, das Gesetz, die Religion achte: nur sei sein Bestehendes, sein Staat, sein Gesez, seine Religion anders, als was die sächsische Regierung unter diesen Sachen verstehe. Im Allgemeinen stimme er also mit den herrschenden Ansichten überein: denn auch er erkenne ja die Kategorien des Bestehenden, des Staates, des Gesezes, der Religion an: im Einzelnen nur walte eine Verschiedenheit ob. Und da das so ist, so hofft Herr Ruge, die Repräsentanten des bestehenden Volkes werden sich mit ihm und seiner Sache auf Unterhandlungen einlassen und ihm am Ende Recht geben.
§6 Erstens, meint er, wissenschaftlich, auch im Sinne des sächsischen Ministeriums wissenschaftlich, seien die deutschen Jahrbücher gewiß gewesen, denn die Sprache der Jahrbücher „ist nur den philosophisch Gebildeten zugänglich.“ Das heißt: nach eurer Ansicht ist die Wissenschaft nur für einen kleinen Kreis von Gelehrten da, soll nur auf die Köpfe von Gelehrten wirken; nun für wen waren die deutschen Jahrbücher anders als für 600 Gelehrte? Zwar kann man Herrn Ruge nun einwenden, das Gefährliche der kritisirenden Wissenschaft in den Dingen, die sie verneint, durchdenkt und charakterisirt. Aber auch hierauf antwortet Herr Ruge: die Philosophie, sagt er, muß doch nun einmal einen Gegenstand haben, sie kann doch „nicht in der blauen Luft bleiben“: folglich denkt die Philosophie nur in ihrer Verlegenheit um einen Gegenstand, „über den Menschen oder über die Natur, also über die Geschichte der Menschheit, über Staat und Welt nach.“ „Was ist nun Unreines daran?“ Praktisch angewandt zu werden, so weit gingen zunächst die Ansprüche der Philosophie gar nicht.
§7 Und wenn man nun Herrn Ruge weiter einwirft, man nehme an der Kritik nicht blos des Inhaltes sondern auch der Form wegen, mit der sie ihr Geschäft verrichtet, Anstoß, so erwiedert er: das könne er sich gar nicht denken; vielmehr: „Wir haben Gedanken zu Wege gebracht, die denen der Herren von der alten Welt etwas stark widersprechen; dies soll nicht sein.“ Es sei also nur eine Art Gelehrten-Eifersucht, welche das Verbot der deutschen Jahrbücher zu Wege gebracht hat.
§8 Was nun den Vorwurf der Negation des Bestehenden und des Gesezes betrifft, so widerlegt Herr Ruge denselben durch seine Beschwerde selber und durch den Gerichtshof, vor den er die Sache der Jahrbücher gebracht hat. Er wendet sich an die constitutionellen Repräsentanten des sächsischen Volkes, er begründet vor ihnen sein Recht, sich frei aussprechen zu dürfen, nicht aus dem Wesen der Wissenschaft, die er zu vertreten meint, sondern aus dem Geseze. Herr Ruge beklagt sich darüber, daß das Gesez so sehr mit der Praxis des Lebens in Widerspruch stehe; in der Praxis herrsche die Willkür der Censur, das Verfassungs-Gesez wolle eine geordnete und geregelte Preßfreiheit. Auf das Gesez berufe er sich, auf geseßlichem Wege wolle er sein Recht erlangen, auf den Boden des Gesezes sollen sich auch die Repräsentanten des sächsischen Volkes stellen.
§9 Indem nun Herr Ruge die Macht des Gesezes heraufbeschwört, so unterrichtet er sich natürlich nicht über das Wesen dieses seines Gutes: wie ja jegliche Macht Gehorsam, nicht aber Untersuchung fordert. Herr Ruge stellt nicht die Betrachtung an, daß er die Kategorie Gesez zu einer unklaren Wendung gebraucht, daß diese Kategorie keinen absoluten, von vorn herein feststehenden Inhalt hat und daß die Praris des Lebens, wenn sie sich allgemeine Geltung verschafft hat, eben so gut die Benennung Gesez in Anspruch nehmen darf, wie das todte, noch nicht zur Anerkennung gebrachte „Gesez.“ Herr Ruge denkt ferner nicht daran, daß die Repräsentanten des Sächsischen Volkes auch Repräsentanten der Sächsischen Lebenspraris, also auch der Sächsischen Censur sind und daß es ein Fehler ist, sich vor ihnen auf das todte und „unpraktische“ Gesez zu berufen.
§10 Diesen Gedanken kann aber Herr Ruge nicht haben, weil er sich einmal vorgesetzt hat, auf die Schutzmacht des Gesezes zu vertrauen, und folglich auf dem Boden des Gesezes zu verbleiben. Da geben wir ihm das Zeugniß, daß es einen günstigeren Erfolg versprach, wenn er jenes „Gesez“ zu Hilfe rief: denn es ist eine bekannte Sache, daß, wenn wie in Sachsen das Gesez und die lebendige Praris in Gegensatz stehen, das Gesez sich manchmal durch einen liberalen Act, zu dem es Veranlassung giebt, für seine sonstige Unthätigkeit Genugthuung verschafft. Bei alledem sehen wir aber nicht ein, warum Herr Ruge, wenn er einmal die eine Seite des Gegensatzes das Gesez anerkennt, so viel Anstand nimmt, auch die andere Seite, die Censur, als gleichberechtigt anzuerkennen.
§11 Den Vorwurf, daß die deutschen Jahrbücher allem Bestehenden feindselig gewesen seien, kann Herr Ruge so wenig begreifen, daß er ihn unmöglich, „unwahr“, einen „Wahnsinn“ nennt. Er, Herr Ruge, sei Bürger zweier Städte, sei Stadtverordneter in Halle gewesen, Dresden habe ihm gleiche Ehre angethan: „und nun soll das Publikum glauben, er sei allem Bestehenden feindselig?“ Und welches seien denn die Fundamente des christlichen Staates, die er unterwühlt haben solle? „die Ehe, die Familie, das Eigenthum, Recht und Gesez, die bürgerliche Gemeinschaft der Stadt- und Landgemeinden.“ Er, Herr Ruge, habe gewiß keinen schlechten bürgerlichen Ruf, die Mitarbeiter der deutschen Jahrbücher seien gewiß weder schlechte Eheleute, noch Diebe, noch Friedensstörer. Kein Glied der Familien des Redacteurs und des Verlegers würde gegen ihren sittlichen Ruf zeugen. Nun sollen die deutschen Jahrbücher noch dem Bestehenden feindselig gewesen sein.
§12 Und wenn sie es nicht praktisch waren, so seien sie es noch viel weniger theoretisch gewesen. Herr Ruge und seine Mitarbeiter seien doch ganz vernünftige Leute gewesen, die nicht daran denken konnten, gegen das Heiligste und Theuerste, gegen die Gerechtigkeit, gegen die Wahrheit, gegen die Vernunft, gegen die Sittlichkeit, gegen die Freiheit der Menschen und gegen die oben genannten Fundamente des Staates zu predigen. Dies alles aber sei das wahrhaft Bestehende.
§13 Herr Ruge also unterwirft nicht den Begriff des Bestehenden einer Untersuchung, nein er stellt nur sein Bestehendes, sein Heiligstes dem Bestehenden und Heiligsten des sächsischen Ministeriums gegenüber. Und wenn wir der Sache recht auf den Grund gehen, so thut er nicht einmal das. Denn auch das sächsische Ministerium glaubt die Gerechtigkeit, die Vernunft, die Wahrheit, die Freiheit, die Sittlichkeit als heiligste und theuerste Fundamente seines Bestehenden zu besitzen. Alle diese Kategorien von Recht, Wahrheit &c. haben, wie jenes „Gesez“, von dem wir oben sprachen, keinen absoluten Inhalt, sie sind die Hypostasen, die Gottheiten, welche dem, was existirt, das Recht der Existenz, die Weihe, die Kraft geben. Es ist also Herrn Ruge gelungen, zu zeigen, daß er mit dem sächsischen Ministerium auf einem gleichen Standpunkt des Denkens sich befindet. Auch er verehrt sein Bestehendes, sein Heiligstes, sein Höchstes: zwar will er von diesem aus gegen das concrete Bestehende polemisiren, er macht es wie jene Communisten, die im Namen des höchsten Wesens die Gleichheit predigen: aber der Erfolg lehrte Herrn Ruge, daß die Gottheiten, welche er hat, zugleich die Gottheiten des concreten Bestehenden und des sächsischen Ministeriums, lieber das Concrete, gegen das er kämpft, schützen, als sich von Herrn Ruge zu bloßen Abstracten erheben lassen wollen.
§14 In seiner Vertheidigung gegen den Vorwurf, daß die deutschen Jahrbücher den monarchischen und constitutionellen Staat angreifen, ist Herr Ruge consequent. Die Existenz des Staates, mit seinen Institutionen, erkennt er als eine theuere, heilige, ganz und gar berechtigte an: und da sei es denn auch gleichgiltig, in welcher Form dieser absolute Staat auftritt, ob als monarchischer, conftitutioneller, republikanischer, wenn nur das Volk frei und gebildet sei. „Keine einzige unter allen Aufgaben (welche die deutschen Jahrbücher stellten) ist eine Gefährdung der Verfassung, sondern nur ihre Fortbildung, noch eine Abschaffung des Königthums, sondern nur eine Verstärkung seiner Macht, denn kein König ist mächtiger, als der, welcher an der Spiße eines freien Volkes steht.“
§15 Freilich sagt Herr Ruge kurz vorher, daß die Form des Staates von dem Bewußtsein des Volkes abhängig sei. Wenn ihm nun das sächsische Ministerium vorhält: „folglich macht Herr Ruge den Staat mit seiner Form von dem Bewußtsein des Menschen abhängig: kann da nicht der Fall eintreten, daß der Mensch sich überhaupt eine andere Form des Zusammenlebens als die staatliche denkt und schafft?“ was antwortet Herr Ruge hierauf? daß er ein für allemal den Staat für sein Heiligstes, seine Gottheit, für die Gottheit der Philosophie hält.
§16 Denn nach Herrn Ruge soll die Philosophie ihre Gottheit haben: so wird sie zur „Religion der Freiheit“. Und mit dieser „Religion der Freiheit“, welche der Inhalt der neuesten Philosophie sei, und welche natürlich jene Abstracta, wie Recht, Gesez, Bestehendes, Sittlichkeit, Vernunft, Wahrheit als ihre höchsten Wesen verehren muß, wahrt sich Herr Ruge auch gegen den Vorwurf, daß die deutschen Jahrbücher die Religion untergraben hätten. Aber das Christenthum! Diese Religion der Freiheit ist eben nach Herrn Ruge das wohl verstandene, das „begriffene“ Christenthum.
§17 Die deutschen Jahrbücher führten ihrer Zeit den Gedanken aus, daß ich mich in der Religion zu meiner Gottheit, die mein mir entfremdetes Wesen sei, demüthig, gebunden, unfrei verhalte. Herr Ruge selber führte uns diesen Satz wer weiß wie oft gedruckt vor. Er muß ihn doch nicht recht durchdacht haben. Sonst müßte er wissen, daß, wenn ich die Freiheit zu meiner Gottheit erhebe, ich ihr also auch als einem Höheren, Fremden, Heiligen, unfrei gegenüberstehen muß.
§18 Wenn wir hiermit unsere Anzeige von Dr. Ruges Beschwerde schließen, so wollen wir zugleich ein lange bestehendes Vorurtheil oder vielmehr eine von den vielen Phrasen, die man heutzutage anwendet, von uns weisen. Man wird sagen, ich habe nun also Herrn Ruge den Vorwurf zu machen, daß er nicht weit genug gegangen sei. Aber wir haben hier gar keinen Vorwurf zu machen: der Kritiker kennt überhaupt die Kategorie des Vorwerfens, mit der er sich an das Gemüth des Anderen wenden würde, nicht: der Kritiker will eben nur charakterisiren, will den Standpunkt ergründen, er hat blos das Interesse an der Auffassung der Sache. Und wenn er, wie das nicht anders möglich ist, eine Person als Vertreterin eines Standpunktes aufgreift, so ist diese Person als solche ihm zu gleichgültig, als daß er von ihr etwas, wie das „Weitergehen“ fordern sollte, vielmehr weiß er, daß Jeder so weit geht, als er gehen kann.
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