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Korrespondenz von Zerrleder in Bern

Deutsch

Author:Year: 1844 

§1 Glauben Sie wohl, daß ich mich nach Berlin zurücksehne? Und daß ich behaupte, der sei kein echter Berliner, dessen Sentimentalität für die Töne der Drehorgel und für Günthers Local nicht stärker ist, als die Sehnsucht des Schweizers nach dem Kuhreigen? Ja, aus dem Lande der Preßfreiheit, aus dem Lande der Demokratie, aus dem Lande der Telle und Winkelrieds, aus dem Lande des St. Bernhard und des St. Gotthard sehne ich mich nach der Censur, nach der Staatszeitung, und nach dem Kreuzberge zurück. Ich habe nun einmal ein Vorurtheil gegen diejenigen Länder, die, wie die Schweiz, den Schein des Behagens und Wohlstandes um sich gebreitet: es ist mir immer, als ob solche Länder hinter der Civilisation und ihren Kämpfen zurückgeblieben. Die Freiheit des Schweizers ist die Freiheit des für sich abgeschlossenen Besitzers, der sich ganz wohl fühlt in seiner Haut, ganz wohl fühlt hinter seinem Berge, mit seiner Frau, mit seinen Knechten und mit seinen Kühen. Diese Freiheit hat etwas abstoßendes, sie ist nicht productiv, sondern im höchsten Grade conservativ, sie ist nicht aufgeweckt, nicht aufgeschlossen.
[Notes for §1 here]
§2 Ich weiß, welchen Abscheu Sie vor den Kleinstädtereien haben: da kommen Sie ja nicht nach der Schweiz. Wovon unterhält man sich zum Beispiel hier in Bern? Hier herrscht natürlich eine andere Aristokratie, als die des Kuhreigens: hier sind es „die Götter des Syrups, der Gerberei,“ welche der Anbetung theilhaftig werden. Hier sind es die verschiedenen „Societäten“ welche rivalisiren; man trägt sich wochenlang mit Klatschereien, wie Der auf dem Ball sich lächerlich gemacht, wie Jener Prügel bekommen, wie der Dritte sich betrunken, und wie der Vierte von seiner Angebeteten einen Korb bekommen habe.
[Notes for §2 here]
§3 Und die Preßfreiheit? Sie nimmt hier mehr die Form eines ungenirten Gesprächs an. Begreifen Sie es? Seit ich hier bin, habe ich allen Ernstes einen Vergleich zwischen der hiesigen Preßfreiheit und unserer Censur angestellt: ich habe mir so gedacht, daß die Censur immer noch eine Art gesellschaftlichen Charakters an sich hat, und daß sie gewissermaßen aus Rücksicht auf das Volk eingesetzt ist. Die hiesige Preßfreiheit aber hat den Charakter des Privatbesitzes, sie geht von dem Grundsatze aus, daß die Censur dem Rechte des Einzelnen, nicht aber, daß sie dem Rechte des Allgemeinen entgegenstehe. Der Einzelne will sich aussprechen, aber er bedenkt oft genug nicht, vor wem er spricht.
[Notes for §3 here]
§4 Nun werden Sie sich schon selber den Schluß ziehen, daß die Schweizerische Demokratie zu einer Herrschaft des Privatinteresses wird, und daß die Schweiz nicht in der Fähigkeit zurückbleibt, die Idee durch die Wucht der begrenzten Interessen und Ansichten niederzuhalten.
[Notes for §4 here]
§5 Sie wissen, welche Anstrengungen gerade jezt von den Jesuiten gemacht werden, um sich in der Schweiz einzubürgern: der sogenannte Aufgeklärte zittert um so mehr vor ihnen, je mehr die Versuche der Jesuiten mit Erfolg gekrönt werden. Es muß aber doch in dem Volke selber ein günstiger Boden sein, der es den Jesuiten erlaubt, auf eine gedeihliche Aussaat, eine gute Erndte zu rechnen. Es ist doch immer der katholische Theil des Volkes, welcher den Mönchsorden die Gelegenheit giebt, in der Schweiz ihre Herrschaft auszuüben. Lassen Sie sich eine Schilderung der katholischen Verhältnisse in der Schweiz geben.
[Notes for §5 here]
§6 Sie kennen Franz Sebastian Ammann; aber Sie wissen vielleicht nichts Näheres von seinen Schicksalen: und doch sind gerade diese Schicksale so geeignet, an ihnen die Zustände des Katholicismus in der Schweiz, die Lebensart der Mönche, die Sinnesweise des katholischen Volkes kennen zu lernen.
[Notes for §6 here]
§7 Ammann ist der Sohn frommer Aeltern, die ihn in der Ehrfurcht vor Gott und vor einem Kloster-Fischinger Mönche, Namens Heinrich Schmidter, der ihr Haus zuweilen besuchte, erzogen. So oft dieser Benedictinermönch das Haus des alten Ammann betrat, mußte Sebastian mit seinen Geschwistern auf die Knie fallen, worauf ihnen der Priester seinen Segen ertheilte und sie mit Weihwasser besprengte: keine größere Ehre, als wenn Sebastian bei solchen Gelegenheiten dem Pfarrer den bleiernen Weihwasserkessel reichen durfte. Ja, Sebastian erlaubte sich wohl manchmal den frommen Betrug, den Weihkessel, wenn er ausgetrocknet an der Wand hing, mit ungesegnetem Brunnenwasser zu füllen, um nur des Glückes der Besprengung theilhaftig werden zu können. Nach der Segnung setzte sich der ehrwürdige Herr Heinrich Schmidter zu Tisch, und ließ sich mit Branntwein, mit Kirschwasser, mitunter auch mit einem Glase Wein bedienen, wie denn überhaupt nur an solchen Tagen im Hause des alten Ammann Wein zum Vorschein kam. „Glaube nicht, sagte dann der Vater zum Sohne, daß der Herr Pfarrer den Wein des Weines wegen trinkt; nein, wenn die Priester Wein trinken, so thun sie es uns zu lieb, um zu beweisen, daß sie uns arme Menschen nicht verachten.“
[Notes for §7 here]
§8 Die frommen Aeltern glaubten kein gottseligeres Werk thun zu können, als wenn sie ihr Söhnchen, in einem Alter von sieben Jahren, ins Kloster Fischingen thaten. Der siebenjährige Knabe sah hier so Manches, was er damals freilich noch nicht verstand, was sich aber tief und lebhaft seinem Gedächtniß einprägte, um sein später empfangenes Bild des Klosterlebens zu vervollständigen.
[Notes for §8 here]
§9 Nicht lange befand er sich unter den Klosterstudenten, und schon fing seine Hochachtung für die Mönche zu schwinden an: er wurde traurig, nachdenkend, seine Aeltern aber, die er von Zeit zu Zeit besuchte, merkten nicht darauf, und freuten sich nur, daß ihr Söhnchen schon das Vater unser lateinisch konnte, sie beneideten ihn, daß er im Kloster, in diesem „Himmel auf Erden,“ wie sie sich ausdrückten, leben durfte. Die Klosterherren waren nicht so blind für die Veränderung, welche in der Seele Sebastians vor sich ging; und der Moderator Thomas Eisenring verklagte ihn bei seinen Aeltern, daß er seinen Professor Willibald lieber habe als ihn. Dieser Professor Willibald, Todfeind Eisenrings, hatte eine starke Parthei unter der Klosterjugend für sich: Eisenring rächte sich, indem er die Schüler des Professors zu sich berief und jeden mit einem schweren Lineal so lange auf die Fingerspitzen schlug, bis das Blut aufspritzte. Durch diese Tortur wollte er die Knaben zwingen, Böses gegen den Professor auszusagen. Unserm Sebastian, der darauf bestand, vom Herrn Professor Nichts Böses zu wissen, schwollen die Hände von den Schlägen ganz rund an, und außerdem ward er verurtheilt, zwei Stunden lang in einem offenen Gange auf kaltem Ziegelboden zu sizen; und es war gerade ein sehr strenger Winter.
[Notes for §9 here]
§10 Bald darauf aber erzeigte sich der Moderator ziemlich freundlich gegen ihn, denn er wollte ihn zu einem Liebeswerke gebrauchen. Er berief Sebastian auf sein Zimmer, erlaubte ihm, seine Aeltern zu besuchen, und gab ihm dabei den Auftrag, einen Brief an seine Taufpathin zu besorgen. Sebastian, welcher fürchtete, daß dies Schreiben Klagen gegen ihn enthalte, öffnete den vermeintlichen Uriasbrief, fand ihn aber voller Zärtlichkeiten für die liebe Taufpathin, an deren Umarmungen sich der fromme Pater mit Wärme erinnerte.
[Notes for §10 here]
§11 Das Kloster Fischingen, in einer öden und abgelegenen Gegend, galt für ein Musterkloster, und Sebastians Lehrer verfehlten auch nicht, ihm die Gefahren der Sünde zu schildern, vor Allem aber, ihn vor den verführerischen Reizen des weiblichen Geschlechtes zu warnen. Dadurch ward Sebastian nur um so neugieriger: als er aber einst seinen Beichtvater fragte, welches denn dies Etwas sei, wodurch man sich mit dem weiblichen Geschlecht versündige, ward ihm eine Buße auferlegt, weil er sich unterstehe, als ein kleiner Knabe über die Sünde mit Weibern nachzudenken.
[Notes for §11 here]
§12 Und doch war der Moderator selber unter den Klosterstudenten so sehr wegen Buhlerei verrufen, daß einst zur Feier seines Namenstages der Altar im Betsale mit einem rothen Weiberrock behangen wurde, den ein Student von einer Bauersfrau geborgt hatte: --
[Notes for §12 here]
§13 Sechs Jahre, von 1807-1813, brachte Sebastian im Kloster Fischingen zu und erlebte Nichts als Unkeuschheit, Aberglauben, Rohheit und Lieblosigkeit. Er sah die gegenseitige Feindschaft der Patres, er sah das unsittliche Leben geheiligter Prediger, er hörte Andere, welche sich wünschten, daß sie ihre Mutter doch lieber gleich nach der Taufe ins Wasser gestürzt hätte; das sei ja ein Höllenleben. „ Bei allem dem theilte Sebastian seinen Aeltern Nichts von seinen Erfahrungen mit, denn es war allen Studenten streng verboten, von klösterlichen Verhältnissen zu schwatzen: auch hätten ihm seine Aeltern doch nicht geglaubt. Ueberdies tröstete sich Sebastian damit, daß es ja nach Christi eigenem Ausspruche Aergerniß geben müsse: er blieb dabei, sich dem Klosterleben zu widmen, da ihm die Benedictiner den festen Glauben beigebracht hatten, daß er nur als Mönch sein ewiges Heil sichern könne. Nur Benedictiner wollte er nicht werden, weil ihm der Gedanke unerträglich war, unabänderlich und lebenslänglich bei denselben Brüdern wohnen zu müssen. Er wandte sich den Kapuzinern zu, denn diese sind nicht für ihr Leben an dasselbe Kloster, an dieselben Mitglieder gebunden. Er ging in ein Kapuzinerkloster, war nun „geistlicher Hochzeiter,“ und am 14. October trat er in das Noviziat.
[Notes for §13 here]
§14 Keinem Novizen ist es erlaubt, während seines Noviziats, das ein Jahr dauert, sich von irgend Einem Aufschluß über das Leben der Kapuziner zu erholen; keiner der Patres darf mit einem Novizen sprechen. Und so sah denn auch Sebastian erst nach Ablegung des Ordensgelübdes, unter was für Herrn er gerathen war; er fand bei den Kapuzinern dasselbe Verderben, dem er durch Verlassung des Benedictinerordens entronnen zu sein glaubte; schon in den ersten Tagen seines Mönchstandes hatte er vom Pater Berchthold, der ihn des Nachts auf seiner Zelle besuchte und ihm von dem Umgang mit schönen Damen erzählte, Nachstellungen ganz eigenthümlicher Art zu erfahren.
[Notes for §14 here]
§15 Als junger Frater genoß Sebastian der Vergünstigung, ab und zu einen Pater zu häuslichen Besuchen in die Stadt Luzern begleiten zu dürfen. Bei solchen Wanderungen darf der Frater keinen Menschen ansehen, geschweige ein Wort mit Jemandem reden. Vielmehr muß der Pater streng darüber wachen, daß der Frater stets mit niedergeschlagenen Augen, die Hände in die Aermel versteckt, neben ihm dahergehe. Bei der Rückkehr muß sich sogar der Frater bei der Pforte auf die Knie werfen, und dem Pater seine Schuld mit folgenden Worten bekennen: »Benedicie, Reverende Pater! ich bekenne meine Schuld, daß ich so grob und ungeschickt bin und so wenig Mortification besize, daß ich die Leute angeschaut habe: ich bitte Sie um eine gute Buße, daß ich mich bessern kann.“ Worauf der Pater ihm eine würdevolle Ermahnung giebt, ihm auch nöthigenfalls eine Buße zudictirt.
[Notes for §15 here]
§16 Solche Begleitung ist dem Pater sehr dienlich: die Leute können ja nun keinen Verdacht schöpfen, weil der Pater nie allein zu einem Frauenzimmer geht; und der Frater ist wieder nicht hinderlich, weil er an jedem Orte des Hauses, an welchen ihn der Pater stellt, mit niedergeschlagenen Augen stehen bleiben muß. Sebastian weiß freilich mancherlei Geschichten zu erzählen, die er erfuhr, indem er die Ohren zu sehr spitzte oder ein verrätherisches Schlüsselloch seinen Augen wenigstens freien Eintritt verstattete.
[Notes for §16 here]
§17 In dem Kapuzinerkloster auf dem Wesemlin bei Luzern war es besonders die Klosterpforte, bei welcher die Patres die Besuche frommer Luzernerinnen empfingen welche Almosen brachten. Sebastian mußte alle Mittwoch und Samstag die unteren Klostergänge, von denen eine Thür nach der Pforte geht, mit dem Besen auskehren: es war ihm verboten, durch die offene Thür auf die Pforte zu sehen; weshalb er die Thür lieber zustieß. Aber diese war alt und durchlöchert, und die Neugierde plagte ihn doch gar zu sehr. Er sieht durch eine kleine Deffnung, wird vom Bruder Pförtner überrascht, verrathen; und nach der Kapuzinerpraxis, daß jeder da gestraft werde, wo er gesündigt, muß er als Buße die ganze Essenszeit hindurch, ohne etwas zu genießen, zur Conventsthüre hinausschauen.
[Notes for §17 here]
§18 Im Jahre 1819 ward Sebastian zum Pater ordinirt: er hatte nun sechs Jahre studirt; aber hatte er wohl bei der Lebensart in einem Kloster rechte Zeit und Gelegenheit zum Studium gehabt, da diese Lebensart eher zum Müßiggang als zum Fleiße anleitet? Der Frater sieht, daß die älteren Patres, nachdem sie ihre Messe gelesen, ihre Zeit vom frühen Morgen an mit Nichtsthun hinbringen; die Einen gehen im Refectorium lärmend und schwätzend bis zum Mittagsessen auf und nieder; andere trinken und singen in den Zellen. Nur Mittags von halb eins bis zwei Uhr, wo man sein Schläfchen hält, herrscht die in der Ordensregel gebotene Stille; dann schwätzt und trinkt man wieder; dazu wird noch derjenige, der studiren will, als Sonderling ausgelacht. Wozu auch studiren, da die meisten Kapuziner mit fünf oder sechs auswendig gelernten Predigten, die sie vielleicht gar von einem Vorgänger ererbt, ihr Lebelang auskommen? --
[Notes for §18 here]
§19 Die Mißbräuche, welche seit schon so langer Zeit in dem Kapuzinerorden eingerissen, wurden endlich so schreiend, daß die Einsichtsvolleren und Besseren des Ordens die Nothwendigkeit von Reformen, besonders in den Studien, laut erklärten. Sebastian verfertigte im Anfange der Dreißiger, als es überhaupt hier in der Schweiz gegen die Mißbräuche loszugehen schien, ein Manuscript über Studienreformen, welches auf folgende Weise zum Druck gelangte. Er war damals Guardian im Kloster Arth. Da besuchten ihn mehrere Male der famöse Christophor Fuchs, damals Reformer, und der ebenso famöse Siegwart Müller, damals wüthender Radicaler und geschworner Feind aller Klöster. Christophorus lag ihm stets in den Ohren: Sie müssen Reformen für die Kapuziner schreiben; die müssen andere Kleidung haben, keine Kutten und Sandalen mehr tragen, Eigenthum besitzen, nicht mehr betteln gehen, den lateinischen Chor abschaffen; schreiben Sie, schreiben Sie.
[Notes for §19 here]
§20 Ammann eröffnete dem Freunde, daß er wirklich eine Schrift über viel bedeutendere Reformen unter der Feder habe. Also haben Sie schon Etwas geschrieben? O, geben Sie mir zu lesen! Ammann gab; Christophor und Siegwart ließen die Schrift hinter seinem Rücken drucken.
[Notes for §20 here]
§21 Wirklich war auch die Nothwendigkeit von Reformen mehr als zu sehr begründet. Die Erziehung der Novizen und Fratres wird auf folgende Weise beschrieben: „dem armen Jünglinge im Noviziate füllt man gleich anfangs den Kopf, statt mit Begriffen der evangelischen Vollkommenheit und der christlichen Wahrheit, mit widersinnigen Mönchsregeln und Ordensconstitutionen, mit leeren Ceremonien, mit glänzenden Kleinigkeiten, mährchenhaften Wunderwerken, Lebensbeschreibungen heiliger Kapuziner, Legenden und Asceten. Alles Selbstdenken wird ihm verboten, denn sie heißen dies „sündhaftes Klügeln und strafbaren Fürwitz.“ Man leitet ihn auf tausend irrige Begriffe, und die Unterwerfung des sich dagegen sträubenden Verstandes fordert man von ihm als Opfer des blinden Gehorsams. Man erhitzt seine Einbildungskraft durch düstere und schwermüthige Faseleien. Allen Freuden des Lebens und den unschuldigsten Vergnügungen schließt man so lange den Zugang in seine Seele, bis sein Verstand eine Wüste und der Professe ein Schwärmer ist. Die Philosophie, die man dem jungen Frater beibringt, ist ein barbarisches Nichts, ein Wortkram voll spitzfindiger Grübeleien ohne Verstand, ein wahres Antidotum gegen alles Denken; eine Vorbereitung zur mönchischen Scholastik, zu Schulzänkereien und zur Zanktheologie.“
[Notes for §21 here]
§22 Trotzdem also, daß die Thatsachen, auf die sich Ammann in seiner Schrift stützte, unläugbar waren, erweckte sie ihm doch unter den Kapuzinern nur Feinde und Verfolger. Man fordert von ihm den Widerruf, weil die Schrift irreligiös sei. Das einzige, was Ammann von ihr widerrufen mochte, war ihre Unvollständigkeit, weshalb er im Jahre 1837 eine neue Schrift über Studienreformen herausgab, in welcher er seine Pläne detaillirter und entwickelter gab.
[Notes for §22 here]
§23 Da ward der Provinzial Siegismund aufgefordert, den Sebastian zum Widerruf zu zwingen. Vater Siegismund aber antwortete: „Wenn ich das thue, so wird Sebastian noch mehr schreiben, denn er weiß gewiß noch Vieles, und was er in den Studienreformen niedergelegt hat, ist Alles leider nur zu wahr. Was wollen wir mit ihm anfangen?
[Notes for §23 here]
§24 Bald darauf gab Sebastian eine neue Schrift, „der Morgenstern“, heraus. In der Mitte der dreißiger Jahre nämlich, wo die Mönche gegen das „übergreifende“ Staatsregiment predigten, wurden die Bauern in den Beichtstühlen auch gegen Sebastian, damals im Kloster zu Wyl, aufgehetzt, weil er auf Seiten des Staates stehe. Die reichsten Bauern erklärten, ste würden dem Kloster Wyl seine Almosen mehr geben, wenn Sebastian noch länger dabliebe. In diesen Tagen der Verfolgung las Ammann gerade Erasmi Rotterdami in Novum Testamentum Annotationes. Diese Anmerkungen verarbeitete er mit noch andern Ansprüchen über den wahren Geist Christi und seiner Kirche: und so entstand der “Morgenstern.“ Professor Leu in Luzern begann den Kampf gegen diese Schrift mit einer Rezension in der „allgemeinen Kirchenzeitung,“ einer Recension, welche er mit folgenden Worten ankündigte: „den Kerl will ich hauen und ihm seinen Kapuzinerstolz legen.“
[Notes for §24 here]
§25 Doch es blieb nicht bei literarischen Angriffen. Der Provinzial ward besonders von Pater Damascen Bleuel, später selbst Provinzial, angehalten, den Sebastian zum Widerruf zu zwingen. Siegismund, zu schwach, den Widerruf zu fordern, verlangte nur von Sebastian, daß er nach Schwyz gehe. Dieser wußte aber, was ihn in Schwyz erwartete, wo gerade jener Damascen Bleuel Guardian war: er selbst erklärt, daß er in den Kerker geworfen zu werden fürchtete, wo man ihm eine gut gewürzte Suppe gebracht hätte, die ihn für sein ganzes Leben gesättigt haben würde.“ Daher erklärte er: ich gehe nicht nach Schwyz.
[Notes for §25 here]
§26 So kam die Neujahrswoche des Jahres 1838 heran: das ist eine Zeit, in welcher die Väter Kapuziner alle Nachmittage in der Stadt und Umgegend ihres Klosters von Haus zu Haus ein glückliches Neues Jahr wünschen, wofür sie stets eine reichliche Vergeltung heimbringen. In diesen Tagen ist gewöhnlich das ganze Kloster betrunken, und da kam auch die Wuth der Väter gegen Sebastian zum Ausbruch. Aus der Conventstube, wo getrunken wurde, rief man dem Sebastian durch das Zugrohr, welches die Ofenwärme des Convents in die Zelle leitet, Beschimpfungen hinauf: in der Nacht vom 3. zum 4. Januar stürmten die Patres Gallus, Pancratius und Jacobus gegen seine Zelle, fluchten ihm und drohten, die Thür einzusprengen. Der Guardian, welcher dabeistand, lachte aus vollem Halse.
[Notes for §26 here]
§27 Seines Lebens nicht mehr sicher, packte Sebastian seine sieben Sachen zusammen und begab sich nach St. Gallen. Der Guardian, Pater Aquilin, der ihn mit Grobheiten entließ, berichtete darauf an den Provinzial: „mit Thränen in den Augen habe ich ihn auf sein wichtiges Vorhaben aufmerksam gemacht, er solle doch bleiben, bis andere Bestimmungen kommen.“
[Notes for §27 here]
§28 Sebastian hielt sich in St. Gallen fünf Monate bei Herrn Fehr, Besitzer der Buchhandlung Huber und Comp. auf. Von hier schrieb er sogleich an den Provinzial und bat um die Erlaubniß, in das Kloster zu Appenzell, Mels oder Näfels zu gehen. Er erhielt aber keine Antwort und vernahm, der Provinzial habe erklärt, ihm überhaupt nie auf ein Schreiben zu antworten.
[Notes for §28 here]
§29 Voller Entrüstung schrieb er dem Pater Eicgismund am 26. Februar 1838. „Es kann Sie nicht befremden,“ heißt es in diesem Schreiben, „wenn ich Ihnen mit Gegenwärtigem das offene Geständniß ablege, daß ich Ihr amtliches und väterliches Verhalten gegen mich nicht verstehe und beinahe versucht bin, an eine niederträchtige Illusion ab Seite meiner Ordensobern zu glauben.“ Er entwickelt weiter, daß die väterlichen Aufforderungen an ihn nur Heuchelei gewesen sein können, da ja das Urtheil, ohne ihn nur zu hören, schon über ihn gefällt gewesen sei; er verlange eine unumwundene Erklärung, was man denn eigentlich von ihm wolle und mit ihm vorhabe; er habe nie die Absicht gehabt, aus dem Orden zu treten, und es hänge nur von seinen Ordensobern ab, ob er dem Orden noch ferner angehören wolle oder ihm entsagen müsse.
[Notes for §29 here]
§30 Immer noch keine Antwort. Endlich am 23. Mai schreibt Sebastian seinen Absagebrief. „Man hat mich, sagt er hier, nicht nur wie einen Verbrecher mit schnöder Verachtung behandelt, sondern man ist im Geheimen, schriftlich und mündlich mit den schändlichsten Lügen, mit den grundlosesten Verläumdungen gegen mich aufgetreten; man hat, ohne vorhergegangene Verantwortung, ohne Prüfung und Untersuchung, ohne mir einen einzigen Irrthum oder eine persönliche Beleidigung in meinen Schriften nachzuweisen, ja, ohne sie gelesen zu haben, mich zum schmählichsten Widerrufe und zur Abbitte aufgefordert und mit der Mutation in die Urkantone und namentlich nach Schwyz unter meine Feinde bedroht; man hat mich tödten wollen. Ich bin genöthiget, einen Orden, den ich 25 Jahre mit Ergebenheit und Treue bedienet, in dem ich aber nicht mehr wirken kann, zu verlassen, und ersuche Sie daher um die Dimission aus der Provinz.“
[Notes for §30 here]
§31 So nahm denn Sebastian, arm und mittellos, wie er war, den Wanderstab in die Hand, um dahinzugehen und sein Brod zu verdienen. Er hatte, da ihm Siegismund nie geantwortet, kein Actenstück in Händen, um zu beweisen, daß man ihn zu Widerruf und Abbitte gezwungen und die Kapuziner leugneten dies keck vor aller Welt. Auch bedurfte er noch der Säcularisation und des Dispenses von Rom aus: er schreibt an den heiligen Vater; dieser dispensirt ihn, entläßt ihn seines Ordens, nur sei die Erecution dieses Dispenses an den apostolischen Vikar in St. Gallen gebunden. Sebastian, voller Freude, nun wieder als katholischer Geistlicher wirken zu können, begiebt sich zum Vicar, der sich aber in nichts einlassen will, bevor jener nicht seine Schriften feierlich widerrufen. Sebastian fordert, man solle ihn wenigstens verhören, den geistlichen Rath versammeln, die Schriften untersuchen umsonst. Er sagt Palinodiam non cano, und geht.
[Notes for §31 here]
§32 Von allen verlassen, findet er endlich eine Anstellung als Obergehilfe in einem St. Gallischen Zuchthause; da mußte er von Morgens fünf bis Abends acht Uhr die schmußigsten, schwersten Hausdienste thun, und war dabei ohne alle geistige Beschäftigung, ohne geistige Anregung. Er nimmt seine Entlassung.
[Notes for §32 here]
§33 Fortan dachte er nur auf ein Mittel, um zu einer Urkunde zu gelangen, was für Anforderungen im Ergebungsfalle vom Kapuziner-Provinzial an ihn gestellt werden würden. Es war im Jahre 1840, als Damascen Bleuel Provinzial war. An diesen schreibt er; Damascen stellt ihm im Auftrage des heiligen Vaters drei Bedingungen: 1) suum illum famosum libellum, suaque dicta per tot publicas paginas, quot loca ex eo sunt scandalo affecta, reprobet, atque offensas Ecclesiae et ordini illatas, omni, qua potest, ratione deleat. 2) Ut Episcopum adeat Ecclesiae Catholicae Delegatum et cum ipsa Ecclesia se reconciliet. 3) Si ad ordinem redire velit, ut non superbia elatus sed filius poenitentia contritus, ad illum redeat, tamquam patrem scelera filii obliviscentem seque paterna dilectione prosecuturum, numquam vero honorum rationes gradusque requirens. Das also wollte man von ihm: er sollte blindlings widerrufen, sich blindlings der Willkür des apostolischen Vicars in die Arme werfen, sollte als reuiger und zerknirschter Sohn, nicht mehr werth, einen Grad im Orden einzunehmen, die Bußübungen sich gefallen lassen, welche der Orden als ein liebevoller Vater über ihn verhängen würde.“
[Notes for §33 here]
§34 Da nahm Sebastian auf immer von dem Orden Abschied. Unter dem 26. April schreibt er an Pater Damascen: „Nun so fahrt denn fort, einen Mann wegen eines freisinnigen Buches, das er schrieb, während Andere der rohesten Sinnlichkeit und dem schändlichen Müßiggang abwarteten, zu verstoßen und zu verdammen.“ Das Schreiben schließt mit den Worten: „Adieu Euch Allen.“
[Notes for §34 here]
§35 Es war also mit diesem Sebastian Nichts anzufangen. Nun wandten sich die Mönche an seinen Vater und vermochten ihn, sich von seinem Sohn öffentlich loszusagen, ihn zu verwünschen. Wir wissen schon, daß der alte Ammann von jeher unter der geistlichen Herrschaft des Fischinger Klosters stand; so hatten denn der Vater und die Geschwister Sebastians viel von den Fischinger Mönchen zu leiden; ein Mönch sagte z. B. seiner Schwester einst im Beichtstuhle: Sebastian sei ein verdammter Mensch, da er gegen den Papst geschrieben; er (der Beichtvater) könne sie nicht eher absolviren, als bis sie ihren Bruder zum Widerruf seines verdammten Buches vermocht habe. Der alte Ammann kann weder lesen noch schreiben, um so eher gelang es den Mönchen, ihn gegen seinen Sohn aufzubringen und ihm endlich ein Actenstück abzunöthigen, in welchem sie ihm die Verfluchung Sebastians in den Mund legten.
[Notes for §35 here]
§36 Sebastian selber stellt diese Handlung seines Vaters jener bekannten Geschichte gegenüber, welche erzählt, daß der Dominikanermönch Franz Alard von seiner eigenen Mutter verflucht, der Inquisition überliefert und mit dem Holz verbrannt worden sei, welches seine Mutter zum Scheiterhaufen lieferte. -
[Notes for §36 here]
§37 Lassen Sie sich nun noch eine Beschreibung des Lebens und Treibens der Schweizerischen Kapuziner gefallen.
[Notes for §37 here]
§38 Sie wissen, daß der Franciscaner Matthäus Bassi, aufgebracht über den Verfall, in welchen sein Orden zu seiner Zeit gerathen war, zur ursprünglichen Lebensweise des heiligen Franziscus zurückzukehren und seine Brüder zu derselben zurückzuführen beschloß.
[Notes for §38 here]
§39 Er wollte seine Reform damit beginnen, daß er die ursprüngliche und einzig wahre Kleidung des heiligen Franziscus wieder einführe. Schwierige Aufgabe, zu finden, welche Form Franzisci Kutte gehabt. Endlich erschien ihm der Heilige selber in seiner echten Gestalt und nun wußte Matthäus, daß der Ordensstifter eine Kutte in Form eines Kreuzes mit einer pyramidenförmigen und spitzen Mönchskappe getragen. Augenblicklich reißt der fromme Mann sein Kleid vom Leibe und beschließt, fortan eine Kutte mit einer spitzen Kapuze zu tragen. Er entspringt aus dem Kloster Montefiascone, wirft sich dem heiligen Vater zu Füßen und erhält von diesem die Erlaubniß, eine spitze Kapuze tragen zu dürfen, anno 1526. Er weiß den Nachstellungen des Franziscaner-Provinzials zu entgehen, sammelt Schüler um sich und im Jahre 1528, in diesem reformirenden Zeitalter, bestätigt Clemens VII. den reformirten Orden: in einer Bulle erlaubt er den Kapuzinern, eine spitze Kapuze und den Bart zu tragen, auch zu betteln.
[Notes for §39 here]
§40 Die Kapuziner wußten sich bald dem Papste angenehm und dienlich zu machen, wofür sie vielerlei Begünstigungen erhielten. Die Kapuziner der Schweiz genießen des Privilegiums, bei ihren Missionen zu keinen Fasten verbunden zu sein. Gegen die Regel, welche ihnen ausdrücklich gebietet, „daß sie auf keine Weise einen Heller Geld weder für sich noch für Andere annehmen,“ sammeln sie Schäße. Sie haben das Privilegium, von allen sonst dem Papste oder den Bischöfen vorbehältenen Sünden absolviren zu können. Der Ordensmann ist so unabhängig von der bischöflichen Gewalt, daß, wenn er auch innen oder außer dem Kloster Verbrechen begeht, er sich nicht vor dem Bischofe zu stellen braucht; selbst, wenn der Bischof, was er aber nicht darf, Ercommunication und Suspension über ihn verhängt, so ist solche Strafe null und nichtig. Der Ordensgeistliche ist weder der Kirche noch der Staatsgewalt unterworfen.
[Notes for §40 here]
§41 Vermöge dieser Privilegien sind die Kapuziner aus Bettelmönchen zu einem reichen Orden geworden. Von ihrer herzlosen Habsucht weiß Sebastian Ammann zu erzählen. Einst bettelte er im Kanton Luzern und trat mit seinem Träger in eine Strohhütte: hier sah er nichts als eine Mutter mit vier nackten Kindern und die arme Frau jammerte noch, daß sie dem ehrwürdigen Vater nichts geben könne. Sebastian holte aus dem Tragkorbe, in welchem er über einen Centner Butter hatte, ein Stück Butter heraus und gab es der armen Frau dafür erhielt er im Kloster eine fürchterliche Strafpredigt; denn es ist den Kapuzinern, die doch selbst nur vom Betteln leben wollen, streng verboten, den Armen etwas zu geben: viel eher kommt es vor, daß sie auf ihren Streifzügen Sachen mit Gewalt an sich reißen und mitschleppen.
[Notes for §41 here]
§42 Es giebt viele Klöster, welche jährlich von dem Ueberfluß ihres Erbettelten eine Menge Korn, Butter, Wachskerzen verhandeln und so ein ungeheures Kapital sammeln. Das Kloster in Luzern und Freiburg hat ein Kapital von 100,000 Franken, die ärmsten Klöster haben immer ein Paar Tausend Franken vorräthig.
[Notes for §42 here]
§43 Freilich sagt man, die Klöster nehmen dafür arme Wandersleute gastlich auf und speisen sie. Lassen Sie sich eine Beschreibung der Suppe und der Brode geben, welche die Kapuzinerklöster an die Armen austheilen.
[Notes for §43 here]
§44 „Die Suppe besteht aus einem Zusammenwurf Alles dessen, was die Kapuziner bei Tische als ungenießbar weggeworfen. Jeder noch genießbare Bissen, der abgetragen wird, kommt nicht in die Suppe. An diesen Auswurf von Speisen wird das Geschirrwasser geschüttet, schwarzes Brod eingebrockt und Kartoffeln, Kraut, Kabis, Rüben darunter geworfen, gerade so, wie man's den Schweinen giebt. Ist dieses Gekoch fertig, so wird Alles zusammen in ein Faß gegossen, das höchstens alle Monate nur einmal und nur oberflächlich gereinigt wird. Es erregt Grausen, dieses Suppenfaß zu sehen oder zu riechen. Von dieser Suppe wird nun alle Tage an die Armen ausgetheilt; sie macht den Hauptbestandtheil der Kapuziner-Wohlthätigkeit aus. Will die Quelle vor der Zeit versiegen, so gießt man wieder Wasser dazu. Nur wem der Hunger nicht in allen Gedärmen nagt, nur wer nicht weiß, wie diese Armensuppe zugerichtet und aufbehalten wird, kann davon essen. Viele haben schon todte Mäuse, Käfer, Spinnen und Insecten darin gefunden. Das Brod, das armen Menschen gegeben wird, ist kohlschwarz, roh, unverdaulich, es wird zudem nur dann, und zwar nur an Reisende ausgetheilt, wenn die Suppe nicht mehr zureicht.“
[Notes for §44 here]
§45 „Doch die Mönche belehren, heiligen das Volk auf ihren Fahrten.“ Ich habe Ihnen schon oben von den Studien der Kapuziner erzählt; übrigens erinnere man sich nur, was vom heiligen Franziscus erzählt wird, daß er einst einem Jüngling auch ein Psalmenbuch zu behalten verbot, weil das ihn zum Lesen mehrerer Schriften aufreizen könnte; man erinnere sich, daß es bei schwerster Kerkerstrafe und auf die Gefahr hin, als abtrünniger Kezer ercommunicirt zu werden, verboten ist, Etwas am Buchstaben der heiligen Ordensregel zu ändern: und man wird wissen, was man von der Geistesbeschäftigung der Kapuziner, was man von dem Einflusse, den sie auf die Geistesbildung des Volkes ausüben, zu halten habe.
[Notes for §45 here]
§46 Um ihren wahren Einfluß zu schildern, brauche ich gar nicht an die unsittlichen Fahrten derselben, die hier in Jedermanns Munde sind, zu erinnern; ich will Ihnen nicht von jenem Bibliothekar erzählen, der den vorübergehenden Mädchen Bücher und Bilder aus dem Bibliothekfenster zuwarf: ich will Ihnen nicht von den Besuchen der Mönche in den Nonnenklöstern, die allgemeinen Scandal erregen, erzählen: denn wenn ich auch nicht Gefahr laufe, für einen Sittenprediger zu gelten — ist doch die Unfittlichkeit unter heiligen Fesseln, denen ich mich beuge, das Verwerflichste, was es giebt, so giebt es doch noch ganz andere Seiten, von denen wir den Einfluß der Schweizer Mönche auf das Schweizervolk zu betrachten haben.
[Notes for §46 here]
§47 Das Teufelbeschwören, das Beschwören der Krankheiten aller Art ist bei den Kapuzinern durchgehende Sitte. Für ein gutes Geld vertreiben sie Ihnen die Gicht durch eine lateinische Zauberformel, vertilgen sie die Ratten, Mäuse und alles Ungeziefer, bewahren sie ein Haus vor Feuersgefahr und Dämonen, halten sie ein Gewitter in seinem Laufe auf. Unser Sebastian trat einst in die Hütte eines Kranken und dieser bat ihn, seine Krankheit zu beschwören; der aufgeklärte Pater wollte dem Kranken vernünftig zureden; er erklärte ihm, er habe zwar keine Macht über seine Leiden, doch wolle er mit ihm zu Gott dem Herrn beten: da fehlte nicht viel daran, und der Kranke hätte den Pater zur Thür hinausgeworfen.
[Notes for §47 here]
§48 Die Kapuziner sind dabei selber so sehr für die Heiligkeit ihrer Zauberformeln eingenommen, daß sie es für einen Frevel erklären, wenn der Kranke neben ihren Beschwörungen sich noch der Hilfe eines Arztes oder medicinischer Mittel bedient.
[Notes for §48 here]
§49 Ein Haus wird so gesegnet: zuerst wird ein geschriebener oder gedruckter Zettel mit dem Namen Jesus geweiht. Dann folgt eine Beschwörung der „alten Schlange,“ dann geht der Priester im ganzen Hause herum und besprengt die Wände mit Weihwasser; sodann taucht er den Daumen der rechten Hand in das Weihwasser und zeichnet in der Mitte der vier Wände fünf Kreuzzeichen, indem er geeignete Worte dazu spricht. Jeßt werden die Zettel mit dem Namen Jesus durch eine Hostie an die Thüren geklebt, und es folgt eine neue Benediction.
[Notes for §49 here]
§50 Sie wissen, welche Rolle das geweihte Schießpulver, die gesegneten Kugeln und Kriegswaffen in den Schweizer Kriegen und Zwistigkeiten gespielt haben und spielen.
[Notes for §50 here]
§51 Um das Ungewitter zu beschwören, stellt sich der Priester unter eine Kirchthür, er kehrt sich gegen die Wolken und droht ihnen mit dem heiligen Kreuzeszeichen; er hält ihnen das Kreuz entgegen und ruft ihnen zu: „Sehet das Holz des allerheiligsten Kreuzes, fliehet ihre Feinde;“ er wirft Weihwasser in alle vier Himmelsgegenden. Hört das Wetter nicht auf, so knieet der Priester nieder, spricht die Litanei aller Heiligen und neue Beschwörungen: wird das Gewitter immer gefährlicher, so nimmt der Priester das heilige Gefäß der Hostie aus dem Tabernakel oder wenigstens das größere Kreuz und tritt zur Kirche heraus dem Ungewitter entgegen. Die ganze Procedur wird wiederholt, bis das Wetter vorüber.
[Notes for §51 here]
§52 Der Kapuziner segnet Eheleute, daß ihre Ehe fruchtbar sei, er beschwört die Viehseuche, segnet die Milch, Butter, den Käse und jegliche Speise, vor allem aber treibt er in höchft feierlicher Procedur besessenen Leuten den Teufel aus. Er vertheilt Wunderzettel, Amulets, heilige Pillen u. s. w.
[Notes for §52 here]
§53 Soll ich Ihnen nun noch von den Predigten dieser Mönche erzählen? Soll ich Ihnen berichten, wie sie von der Kanzel herab den Bauern die ärgsten Zoten in die Ohren schreien, um sie vor Unsittlichkeit zu wahren, wie sie die Worte und Erzählungen der heiligen Schrift verdrehen, wie Einer den Spruch »magnus est dominus in operibus suis« mit „groß ist der Herr in den Werken des Schweines“ übersezte, wie Einer erzählte, Christus und Franziscus seien sich so ähnlich, daß sie Gott Vater oft selber verwechsele, ein Anderer, Gott der Herr sei vor der Menschwerdung cholerischen und nachher phlegmatischen Charakters gewesen? Nein, Sie werden nun genug gehört haben, um einsehen zu können, auf welcher Bildungsstufe sich der katholische Schweizer befindet; daß es wenigstens nicht an den Mönchen liegt, wenn er weiter ist, als unsere Eltern im Jahrhundert Gregors. Ja, steht die Beschwörung des Gewitters nicht mit jener Procedur heidnischer Priester, welche nach drohenden Gewitterwolken stechen, auf gleicher Stufe?
[Notes for §53 here]
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