§2
Warum wir das Buch jezt besprechen? Nicht um jener Modenarrheit willen die jezt so ziemlich ihre Epoche gehabt hat, welche auf eine Zeit lang den Glace-Handschuh parfümirter Damen mit der schmußigen Hand des Freudenmädchens in Berührung brachte, nicht jenes anatomischen Interesses wegen, welches der fein gewachsene Civilisirte eine Zeit lang an der Mißgeburt nimmt, auch nicht um jener Weiber selber willen, deren Körper zu Gelderwerb-Maschinen geworden sind; nicht der interessanten Facta wegen, welche Beraud mittheilt und welche bei aller schiefen Auffassung doch einen Blick in die Organisation der Gesellschaft thun lassen. Wer Facta haben, wer Erfahrungen machen will, der braucht sie nicht aus Büchern zu nehmen: ist es ihm ernst um die Gesellschaft, so lege er auf einige Zeit die Schaam der Civilisation bei Seite, welche am liebsten die Existenz der Verworfenheit ignoriren möchte und es höchstens zu einem Naserümpfen, zur Verachtung, zum Abscheu bringt: er begebe sich zu jenen Weibern, er studire ihr Leben, ihren Charakter, ihre Ansichten. Ihr könnt in Berlin Erfahrungen genug machen: Ihr könnt jene zarten Wesen beobachten, die so sittsam, so sylphengleich über die Straße dahergleiten und euch höchstens durch einen frivolen, verführerischen Blick ihr Gewerbe ahnen lassen, bis zu jenen schmutzigen geschminkten Dirnen, die euch gleich mit einer Obscönität in die Arme fallen. Seid ihr aber zu civilisirt, um selber diese Erfahrungen zu machen, gut, so seid ihr auch kaum werth, daß man euch eigene Erfahrungen vortrage, ihr würdet sie doch nicht verstehen, nicht zu würdigen wissen.
[Notes for §2 here]