§1
Ich beginne meine Schilderung des Proudhonschen Standpunktes mit der Charakteristik seiner Schrift: „Was ist das Eigenthum.“
§2
„Ich will, sagt er, kein System des Neuen geben: ich will Nichts, als die Abschaffung des Privilegiums, die Vernichtung der Sclaverei, die Gleichheit der Rechte, die Herrschaft der Gesetze. Gerechtigkeit, Nichts als Gerechtigkeit, das ist's, was ich meine; ich überlasse Anderen die Sorge, die Welt zu discipliniren.
§3
Ich sagte zu mir eines Tages: Weshalb in der Gesellschaft so viel Schmerz und Elend? Soll der Mensch denn immer unglücklich sein? Und ohne mich bei den Auseinanderseßungen der Reformisten aufzuhalten, welche bald die Feigheit und Unerfahrenheit der Gewalt, bald die Verschwörer und Aufrührer, bald die allgemeine Dummheit und Verworfenheit wegen der allgemeinen Noth anklagen; ermüdet durch die endlosen Kämpfe der Rednerbühne und der Presse, wollte ich selber die Sache ergründen. Ich befragte die Meister der Wissenschaft, ich las hundert Bände Philosophie, Rechtswissenschaft, Staatsökonomie und Geschichte. Und zulegt sah ich ein, daß wir noch nie den Sinn der Worte: Gerechtigkeit, Billigkeit, Freiheit erfaßt haben, daß unsere Ideen über diese Gegenstände sich in der tiefsten Finsterniß befinden.
§4
Diese unsere bisherige Unkenntniß ist die einzige Ursach des Pauperismus, der uns verschlingt, und alles Unheils, von dem das Menschengeschlecht getroffen ward.
§5
Unsere Kenntniß der moralischen Geseze ist nicht von vornherein vollständig; so kann sie einige Zeit dem gesellschaftlichen Fortschritt genügen; auf die Länge aber wird sie uns einen falschen Weg führen und endlich in einen Abgrund von Unheil stürzen. Ist nun aber eine neue Erkenntniß nöthig geworden, so erhebt sich ein erbitterter Kampf zwischen den alten Vorurtheilen und der neuen Idee. Nihil motum ex antiquo probabile est, jede Neuerung ist tadelnswerth, rief Titus Livius. Aber wie! wenn der Mensch unwissend geboren, wenn es seine Bestimmung ist, sich schrittweise zu unterrichten, muß er nun das Licht verläugnen, seiner Vernunft abschwören und sich der Herrschaft der Umstände unterwerfen? Reform, Reform, schrieen Johannes der Täufer und Jesus Christus, Reform, Reform, riefen unsere Väter vor funfzig Jahren und wir werden noch lange Zeit rufen: Reform, Reform.
§6
Zeuge der Schmerzen meines Jahrhunderts sprach ich zu mir: Unter den Principien, auf denen die Gesellschaft beruht, giebt es eins, welches sie nicht versteht, welches durch ihre Unwissenheit verderbt ist und alles Uebel verursacht. Und doch ehrt man dies Princip, doch will man es; denn sonst wäre es ohne Einfluß.
§7
Dieses Princip nun, welches wahr ist seinem Wesen nach, falsch aber in unserer Art es aufzufassen, dieses Princip, so alt wie die Menschheit; welches ist es?
§8
Fragen wir die Lehrer des Gesezes, von dem man uns sagt, daß es in das Herz des Menschen gegraben sei, so finden wir bald, daß sie sich darüber streiten, ohne zu wissen, was es ist. Und bei dem Anblick dieses Durcheinander von Meinungen, welche sich widersprechen, werden wir sagen: „der Gegenstand unserer Untersuchungen ist das Gefeß, die Bestimmung des socialen Princips; nun sind die Politiker d. h. die Männer der socialen Wissenschaft, in vollständiger Unklarheit, in Irrthum befangen: wie aber jedem Irrthum eine Wirklichkeit zu Grunde liegt, so wird man in ihren Büchern die Wahrheit finden, die sie ohne ihr Wissen in die Welt gesezt.“
§9
Wovon unterhalten sich nämlich die Rechtsgelehrten und die Publicisten? Von Gerechtigkeit, Billigkeit, Freiheit, von „natürlichem Gesez, bürgerlichen Geseßen.“ Aber was ist die Gerechtigkeit, welches ist ihr Wesen, ihr Charakter, ihre Bedeutung? Auf diese Frage können uns unsere Lehrer offenbar nicht antworten.
§10
Die Theologen sagen: alle Gerechtigkeit kommt von Gott. Das mag wahr sein, bringt uns in unserer Erkenntniß aber nicht weiter.
§11
Versuchen wir, unserem Gegenstande etwas näher zu kommen.
§12
Die Gerechtigkeit ist das Centralgestirn, welches die Gesellschaften lenkt, der Pol, um den sich die politische Welt dreht, das Princip und die Regel aller Verträge. Die Gerechtigkeit ist nicht eine Schöpfung des Gesezes, vielmehr das Gesez eine Bestimmung, Anwendung des Gerechten. Wenn also die Idee, welche wir uns vom Gerechten und vom Recht machen, falsch ist, so müssen offenbar alle seine Anwendungen im Gesez schlecht, alle unsere Einrichtungen fehlerhaft, unsere Politik irrthümlich sein: so entsteht Unordnung und sociales Leiden.“
§13
Dies sucht Proudhon durch die Erfahrungen der Geschichte zu beweisen. „Es ist achtzehnhundert Jahr her, da verzehrte sich die Welt unter der Herrschaft der Cäsaren in Sclaverei, Aberglauben und Weichlichkeit. Die Philosophen sahen das Ende des Reiches vorher; aber sie wußten keinen Rath. Was konnten sie auch erdenken? Um diese altersschwache Gesellschaft zu retten, bedurfte es eines Wechsels in den Gegenständen der Achtung und öffentlichen Verehrung, bedurfte es der Vernichtung der durch eine tausendjährige Gerechtigkeit geheiligten Rechte.“ Rom, sagte man, hat durch seine Politik und seine Götter gesiegt, jede Reform im Cultus und öffentlichen Geiste wäre Narrheit und Schändung. Rom war gnädig genug gegen die besiegten Nationen, indem es ihnen das Leben schenkte: wollte es die Völker befreien, so würde es sein Recht aufgeben. So hatte Rom das Factum und das Recht für sich, der Gößendienst, die Sclaverei, die Weichlichkeit bildeten die Grundlage der Institutionen: daran rütteln hieß die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern, hieß, in die moderne Sprache übersetzt, den Abgrund der Revolutionen eröffnen.
§14
Da erschien „Wort Gottes.“ Er ging hin und verkündete überall, daß die Stunde der Gesellschaft geschlagen habe, daß die Welt einer Erneuerung entgegen gehe; die Priester seien Schlangen, die Rechtsgelehrten seien Ignoranten, die Philosophen seien Heuchler und Lügner; der Herr und der Sclave seien gleich; der Wucher und Alles, was ihm gleiche, sei Diebstahl; die Reichen und Vergnüglinge seien verdammt, während die Armen an Geist und die Reinen zur Seligkeit bestimmt seien.
§15
Aber man hielt sich nicht an die praktischen Consequenzen der moralischen und politischen Principien, welche „Wort Gottes“ gelehrt hatte. Die Ungeheuer der alten Welt erschienen nach und nach wieder.
§16
Und auch die Revolution konnte nicht den vollständigen Begriff der Gerechtigkeit herausarbeiten. Der Geist, welcher die Bewegung von 89 hervorrief, war ein Geist des Widerspruches: das reicht hin, um einzusehen, daß das Neue, welches an die Stelle des Alten trat, an sich selber nichts methodisches und überlegtes hatte; daß es, aus dem Zorn und Haß entsprungen, nicht die Wirkung einer auf die Beobachtung und das Studium gegründeten Wissenschaft haben konnte; mit Einem Wort, daß die Grundlagen desselben nicht aus einer gründlichen Erkenntniß der Natur- und Gesellschafts-Geseze entsprungen waren. So finden wir denn in den sogenannten neuen Institutionen, daß die Republik sich denselben Principien überließ, gegen die sie gekämpft hat. Mit einem unüberlegten Enthusiasmus unterhält man sich über die Regeneration von 1789: Lüge! nichts als Lüge!
§17
Wenn unsere Ideen über eine Thatsache der Physik, der Einsicht oder der Gesellschaft sich ganz und gar ändern, so nenne ich das „Revolution:“ tritt dagegen nur eine Ausdehnung oder Abänderung auf der bestehenden Grundlage unserer Ideen ein, so ist das „Fortschritt.“ So gab es im Jahre 1789 einen Kampf und einen Fortschritt, aber keine Revolution.
§18
Das Volk blieb bei den alten Principien der Gesezgebung, die Menschenrechte proclamirten zwar die Gleichheit aller Menschen, aber sie behielten die Ungleichheit des Ranges und so weiter bei; die herben Formen des Eigenthums, die Frohne, die todte Hand verschwanden: das Wesen der Sache blieb.“
§19
Proudhon findet also etwas Absolutes, eine ewige Grundlage in der Geschichte, einen Gott, der die Menschheit lenkt, und zwar ist dies die Gerechtigkeit, das „Centralgestirn,“ der „Pol“ der menschlichen Gesellschaft. Er gesteht im Anfange seines Buches, er sei genöthigt, die Vernunft der bisherigen Verhältnisse auf den Kopf zu stellen,“ über der Vernunft dieser Verhältnisse steht ihm aber die Gerechtigkeit, welche für die „Unvernunft,“ die bisher geherrscht hat, nicht verantwortlich sei. Die Gerechtigkeit, das Gesez, die Gleichheit sind für Proudhon der Himmel, das Paradies unserer Zustände, doch soll das Thal der Erde d. h. die Ungleichheit nicht zu diesem Himmel nothwendig gehören. Die Römer mißbrauchten zwar die Begriffe des Rechtes und Gefeßes zur Unterdrückung und zu Unmenschlichkeiten, das „lag aber nur an dem falschen Verständniß dieser Begriffe.“
§20
Es ist das Charakteristische jeder religiösen Vorstellung, daß sie das Dogma eines Zustandes aufstellt, in welchem am Ende der eine Gegensatz als der siegreiche und allein wahre dasteht. Die kämpfende Kirche, welche bisher immer noch an dem heillosen Gegensatz des Heidenthums und des Unglaubens gelitten, wird zur triumphirenden, der Teufel unterliegt, das Reich des Bösen wird zerstört, und das tausendjährige Reich tritt ein. Der Politiker spricht: „die Factionen sind besiegt, das Reich der Gesetze, die Herrschaft des Rechtes hat begonnen.“ Proudhon sagt: „der Begriff der Gerechtigkeit muß erst noch richtig gefaßt werden.“ Auf dem Gebiete der Religion denkt man nicht weiter über das tausendjährige Reich nach: man weiß nicht, wann es eintreten wird, es kann morgen kommen oder über zwei Jahre, aber es wäre irreligiös, den Eintritt desselben kritisch ableiten oder an den historischen Fortschritt knüpfen zu wollen. Der Politiker braucht fast alle Tage die Redensart, daß das tausendjährige Reich nahe. Proudhon verkündet, daß das Himmelreich nahe herbeigekommen sei; aber er verfährt schon kritisch: er will auch die Gründe angeben, warum es nächstens eintreffen muß.
§21
Proudhon kommt durch die Thatsache des Elends, der Armuth einseitig zu seinen Betrachtungen; in ihr sieht er einen Widerspruch gegen die Gleichheit und Gerechtigkeit; sie leiht ihm seine Waffen. So wird ihm diese Thatsache zu einer absoluten, berechtigten; die Thatsache des Eigenthums zu einer unberechtigten. Die Kritik dagegen faßt beide Thatsachen der Armuth und des Eigenthums zu einer einzigen zusammen, sie erkennt die innere Verbindung beider, macht sie zu Einem Ganzen, das sie als solches nach den Voraussetzungen seiner Existenz fragt. Viele Stellen in Proudhons Schriften beweisen, daß er vor Allem die eine Seite der Gesellschaft, die Gedrückten, die Armen, die „Proletarier“ im Auge hat und für ste schreiben zu müssen glaubt: „Tagelöhner, Arbeiter, Männer aus dem Volke, wer ihr auch sein möget, der erste Schritt zur Reform gehört euch. Ihr werdet diese Synthese, diese gesellschaftliche Zusammensetzung vollenden, welche das Meisterwerk der Schöpfung sein wird: ihr allein könnet sie vollenden. Denn Alles, was vom Volke ausgeht, ist durch und durch synthetisch, die Philosophen allein haben das Talent, eingelegte Arbeit zu machen. Schon habt ihr begriffen, daß der hervorstechendste Charakter unserer Reform die Arbeit und die Industrie sein müßte. Auf denn, Geschlecht, dem die Zukunft gehört, auf, und erobere die neue Welt.“
§22
Indem Proudhon auf diese Weise die eine Seite der menschlichen Gesellschaft zur absoluten, übergreifenden macht, muß er, jetzt ist es uns erklärlich, so schreiben wie er schreibt, das heißt, er muß die Kategorieen der Gesellschaft, die ihm als uranfänglich, leitend feststehen, behalten und von ihnen aus deduciren; diese sollen eben nur besser verstanden werden. Doch, sagt ihr, wie soll man denn schreiben? Ist es denn möglich, sich anderer Begriffe, als der schon bestehenden: „Freiheit, Gleichheit“ u. s. w. zu bedienen? Ich antworte, daß die Griechische, die Lateinische Sprache untergingen, als der Gedankenkreis erschöpft war, dem sie zum Ausdrucke dienten.
§23
Proudhon bleibt im Folgenden der Art und Weise seiner Kritik ganz getreu. Die Unmöglichkeit, daß das Recht des Eigenthums aus der Besißergreifung entspringe, beweist er durch den Satz, daß die Besißergreifung nur einen gleichen Besitz“ zur Folge haben könne, weil das Recht derselben für Alle ein „gleiches“ sei. Er bequemt sich nicht der Folgerung, welche er aus nachstehenden Sätzen des Joseph Dutens zieht: „das Eigenthum ist für jeden Menschen ein natürliches und unveräußerliches Recht: die Ungleichheit der Eigenthume ist ein nothwendiges Resultat der Natur.“ „Das heißt, sagt Proudhon: alle Menschen haben ein gleiches Recht auf ungleichen Besitz.“
§24
„Welchem Führer, sagt Proudhon bald darauf, folgte das Gesez, als es das Eigenthum einführte? Das übersteigt allen Glauben: dem Princip der Gleichheit. Die Ackerbauer theilten den Erdboden unter sich; die Gleichheit heiligte nur den Besiß; bei dieser Gelegenheit heiligte sie das Eigenthum. Sollen aber unsere Vorfahren, die nichts von Statistik und Staatsökonomie verstanden, uns die Principien der Gesetzgebung leihen? Das Gesez ist immer der Ausdruck eines Bedürfnisses. Die alten Begründer des Eigenthums übersahen über der Sorge für ihr Bedürfniß, daß dem Eigenthumsrecht zugleich das Recht zu entäußern, verkaufen, verschenken, erwerben und verlieren entsprach, was die Gleichheit, von der sie ausgingen, zerstörte.“
§25
Und worauf stützt nun Proudhon seinen Beweis für die Unmöglichkeit des Eigenthums? Das übersteigt allen Glauben: auf dasselbe Princip der Gleichheit.
§26
Proudhon eifert gegen die Philosophie, was wir ihm an und für sich selber nicht verdenken können. Warum aber eifert er? Die Philosophie, meint er, sei bis jest nicht praktisch genug gewesen; sie habe sich auf das hohe Pferd der Speculation gesezt und da seien ihr die Menschen gar zu klein vorgekommen. Ich meine, daß die Philosophie überpraktisch ist. Das heißt, sie war bisher nichts als der abstracte Ausdruck der bestehenden Zustände, sie war stets in den Voraussetzungen derselben, die sie als absolute hinnahm, gefangen. Was kann z. B. praktischer sein, als wenn Cousin, der für Proudhon als Philosoph darsteht, von der Freiheit und Heiligkeit der menschlichen Person ausgehend, die Unverleglichkeit des Eigenthums beweist. So ist auch Proudhon praktisch, indem er, den Begriff der Gleichheit den Beweisen für das Eigenthum zu Grunde liegen findend, aus demselben Begriff gegen das Eigenthum docirt. Proudhon will aber auch praktisch sein, er will nachweisen, wie das Vorhandene, das Bestehende seinen Principien nach auf eine bald in's Leben tretende Gleichheit hinweise; er will die Anknüpfungspunkte nachweisen, welche die Gleichheit in der Theorie und in der Wirklichkeit des Bestehenden findet, darum darf er jene Principien nicht untersuchen.
§27
Sind die Consequenzen des Princips der Gleichheit stärker als es selber, wie will ihm Proudhon zu seiner plötzlichen Stärke verhelfen?
§28
Ein Land, sagt er, welches von hunderttausend Menschen in Besitz genommen wird, muß in hunderttausend, und wenn die Summe der Einwohner auf vier und dreißig Millionen steigt, in vierunddreißig Millionen Theile getheilt werden. Richtet nunmehr die Verwaltung und die Regierung, die Arbeit, die Auswechselungen und Erbfolgen also ein, daß die Mittel der Arbeit immer gleich bleiben und jeder frei sei, und die Gesellschaft wird vollkommen sein.“ Abgesehen davon, daß in einer nach diesem Princip eingerichteten Gesellschaft am Ende auf Jeden ein halber Sandkorn kommen würde, abgesehen davon, daß dies Princip der gleichen Theile nichts anderes als eine Consequenz des Princips der Ausschließlichkeit ist, so bemerke man, daß eine solche Gleichheit nach Proudhons Ansicht schon dagewesen. Wohin soll sie geführt haben? Zu dem Zustande, gegen den Proudhon kämpft. Proudhon faßt nicht den Begriff des Besizes mit dem des Eigenthums zusammen. Der erstere soll stehen bleiben, da ist es bei Proudhons abstracter Polemik gegen das leztere unerklärt, wie der Besitz zum Eigenthum führte.
§29
Wir kommen immer wieder darauf zurück: Proudhon schreibt im Interesse der Proletarier. Verliere ich, sagt er, verliere ich den Proceß, welchen ich gegen das Eigenthum führe, dann bleibt euch und mir nichts übrig, als uns den Hals abzuschneiden. Proudhon schreibt im Interesse derer, die Nichts haben. Haben und Nichthaben sind ihm absolute Kategorieen: Das Haben ist ihm das Höchste, weil ihm zugleich das Nichthaben als höchster Gegenstand des Nachdenkens dasteht. Jeder Mensch soll haben, aber gleich viel wie der andere, meint Proudhon. Man bedenke aber, daß mir an dem, was ich habe, nur das interessant ist, was ich ausschließlich, was ich mehr habe, als der andere. Bei der Gleichheit wird mir das Haben und die Gleichheit selber etwas Gleichgiltiges.
§30
Man hat, deducirt Proudhon weiter, die Arbeit als Schöpfungsgrund des Eigenthums angegeben. Aber hat der Eigenthümer stets allein gearbeitet? Haben nicht also nach seinem eigenen Geständniß die, welche für ihn arbeiten mußten, verloren, was er sich aneignete? Say behauptet in seiner Staatsökonomie, daß die des Anbaus fähigen Ländereien eigentlich unter die natürlichen Besitzthümer gerechnet werden müßten, weil sie aber leichter anzueignen sind als Luft und Wasser, so folgert Say aus dieser größeren Möglichkeit auch sogleich ein Recht, sich durch Ausschließung der Anderen, welche ihre Zustimmung gaben, ein Feld als Eigenthum zu nehmen. Hierzu ist nur zu bemerken, daß mit Aneignung eines Stück Landes auch die übrigen Elemente: Luft, Wasser, Feuer angeeignet werden: terra, aqua et aëre et igne interdicti sumus.
§31
Ch. Comte meint, der Mensch bedürfe, um zu leben, der Luft, der Nahrung, der Kleidung. Einige dieser Dinge, wie Luft und Wasser, seien unerschöpflich, bleiben also immer Gemeineigenthum, andere seien in geringerer Masse vorhanden und würden Privateigenthum. Charles Comte beweist also von den Begriffen der Begrenztheit und Unbegrenztheit aus: er wäre vielleicht zu einem anderen Resultat gekommen, wenn er die Begriffe der Entbehrlichkeit und Unentbehrlichkeit zu Hauptkategorien gemacht hätte.
§32
Durch den Begriff der Verjährung hat man die Unantastbarkeit des Eigenthums bewiesen. Das Recht der Verjährung ist es, welches den alten Vorstellungen, Ansichten und Einrichtungen ihre oft blutige Widerstandskraft giebt und aus dem Weisen, welcher das Neue lehrt, einen Märtyrer macht. Jeder neuen Entdeckung, Erfindung hat das Recht der Verjährung einen Damm entgegengesetzt. Wir wissen noch nichts und die Unwissenheit der Menge erzeugt die Tyrannei der Menge: aber die Vernunft hatte stets die Fähigkeit, sich zu revidiren und reformiren: der Irrthum der Vergangenheit macht nicht für die Zukunft verbindlich.
§33
Proudhon, um, wie er selbst sagt, „seiner Methode getreu zu bleiben,“ setzt nun den Begriff der Verjährung als einen richtigen, berechtigten voraus und sucht aus ihm die Gleichheit des Eigenthums zu beweisen. Ebenso sucht er den Beweis zu führen, daß, die Arbeit als Grund des Eigenthums angenommen, diese nur zur Gleichheit des Eigenthums führen, ja, daß sie das Eigenthum zerstören müsse.
§34
Charles Comte, so deducirt Proudhon, geht von der Ansicht aus, daß eine Nation Eigenthümerin eines Landes sein könne, während man doch, wenn das Eigenthum das Recht zu brauchen und zu mißbrauchen mit sich führt, jus utendi et abutendi re sua, auch einer Nation nicht das Recht, ein Land zu brauchen und zu mißbrauchen, zusprechen kann. Inmitten eines solchen Landes, meint Ch. Comte weiter, gab es nun ausgedehnte Landstriche, Sumpfländer z. B., welche ein betriebsamer Mann urbar und dadurch zu seinem Eigenthume machte: das sei keine Usurpation, denn es sei klar, daß, wenn ein Landstrich, der heut tausend Francs kostet, damals, als er usurpirt ward, fünf Dreier galt, in der That der Nation nur der Werth von fünf Dreiern entzogen ist.
§35
Proudhon erzählt hiergegen folgende Geschichte: Ein Bauer gestand in der Beichte, daß er eine Urkunde vernichtet habe, durch die er sich zum Schuldner von hundert Thalern bekannte. „Du mußt die hundert Thaler zurückerstatten,“ sagte der Beichtvater. „Nein,“ erwiederte der Bauer, „ich werde zwei Kreuzer für das Blatt Papier geben.“ Wenn ich, setzt Proudhon hinzu, ein Stück Land abtrete, so beraube ich mich nicht blos einer Erndte, sondern ich entziehe meinen Kindern und Kindeskindern ein bleibend Gut. Der Boden hat nicht blos heut einen Werth, er hat auch einen Fähigkeits- und Zukunftswerth.
§36
Der neue Werth, sagt Ch. Comte, den ich einer Sache durch meine Arbeit beilege, ist mein Eigenthum. Proudhon will ihn auf folgende Weise widerlegen: Da müßte also der Mensch aufhören, Eigenthümer zu sein, so wie er zu arbeiten aufhört. Das Eigenthum des Products kann nimmermehr das Eigenthum des zu Grunde liegenden Stoffes mit sich führen. Uebrigens ist der Grundsatz, daß ich durch die Arbeit ein Recht auf Stoff und Product bekomme, in der heutigen Gesellschaft gar nicht durchgeführt; Arbeiter z. B., welche einen Sumpf austrocknen, erhalten nur ihr Tagelohn, durch welchen der Capitalist dem Arbeiter nicht etwa seinen Antheil am Product abkauft: denn was ist der Lohn anderes als eine zur täglichen Beföstigung und Anfrischung der Arbeiter nöthige Ausgabe. Jene unermeßliche Kraft aber, welche aus der Einigung und Harmonie der Arbeiter, aus dem Zusammentreffen und der Gleichzeitigkeit ihrer Anstrengungen hervorgeht, die bezahlt Niemand. Zweihundert Grenadiere haben in wenigen Stunden den Obelisken von Luxor aufgerichtet: wäre ein Mensch in zweihundert Tagen damit fertig geworden? Und doch wäre die Summe der Tagelohne dieselbe gewesen.
§37
Proudhon meint, auf diese Weise bei der Gleichheit des Eigenthums anzulangen, daher polemisirt er gegen folgende Hauptgrundsätze der Fourieristen und St. Simonisten: „Jedem nach seinem Capital, seiner Arbeit und seinem Talente“ (Fourier) „Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Werken“ (Saint-Simon). Jene beiden Secten machen sich eine Ehre daraus, die Ungleichheit als Princip aufzustellen, weil die Natur durch ungleiche Vertheilung der Fähigkeiten selber auf die Ungleichheit hinweise.
§38
„Doch die Arbeit, behauptet Proudhon, ist kein Kampf: der Mensch soll mit seinem Nächsten in Frieden arbeiten. Die Summe der Arbeiten, welche für die Gesellschaft gemacht werden können, wird um so größer sein, je mehr die Zahl der Arbeiter vergrößert und die Aufgabe eines jeden verengert wird. Daraus folgt, daß mit der Ausdehnung der Gesellschaft die natürliche Ungleichheit mehr und mehr neutralisirt wird.
§39
Das Leben ist ein Kampf, aber kein Kampf des Menschen gegen den Menschen, sondern des Menschen gegen die Natur, und jeder von uns muß in diesem Kampf mit seiner Person bezahlen. Wenn nun hier der Starke dem Schwachen zu Hilfe kommt, so verdient seine Gutthat Lob und Liebe, aber seine Hilfe muß auf freie Weise angenommen, sie darf weder durch Gewalt auferlegt, noch ein Preis auf sie gesetzt werden.
§40
Man entgegnet, daß alle Arbeiten nicht gleich leicht seien, manche erfordern eine große Ueberlegenheit des Talents und der Einsicht, folglich müsse sich der Preis danach richten. Dieser Einwurf war stets der Stein des Anstoßes für die Oekonomisten und die Partheigänger der Freiheit: Babeuf wollte, daß jede Ueberlegenheit mit Strenge unterdrückt, daß sie wie eine Pest der Gesellschaft verfolgt werde.
§41
Die Verrichtungen gleichen einander in einer Gesellschaft von Menschen nicht: es muß also verschiedene Fähigkeiten geben; gewisse Geschäfte erfordern eine höhere Einsicht: es giebt also Personen von überwiegendem Geist und Talent; unsere Geschäfte entspringen aus unseren Bedürfnissen: bewundern wir nun die weise Einrichtung der Natur, welche bei den verschiedenen Bedürfnissen, die sie uns gab und denen der einzelnstehende Mensch nicht genügen könnte, dem ganzen Geschlechte die dem Individuum vorenthaltene Kraft gab. Die Verrichtungen aber der Einzelnen sind unter einander gleich: man gestatte nur einem jeden, mit dem andern sich in einen freien Tauschvertrag einzulassen.
§42
Mag Homer mir seine Verse singen; ich höre dies erhabene Genie, gegen das ich, der einfache Hirt, Nichts bin. Was sind meine Käse gegen eine Iliade? Will aber Homer, als Lohn für sein unvergleichliches Gedicht, mir Alles, was ich habe, nehmen und aus mir seinen Sclaven machen, da danke ich ihm und verzichte auf das Vergnügen, seine Gesänge zu hören. Homer kann nicht vierundzwanzig Stunden ohne meine Producte auskommen: er nehme also meine Käsestulle, und dann unterrichte, ermuthige, tröste er mich durch seine Poesie.
§43
Nun soll aber doch das Honorar, welches ich dem Homer gebe und das, was er mir leistet, gleich sein. Wie ist der Werth seiner Leistung zu bestimmen?
§44
Ich will annehmen, daß diese Iliade, dies Meisterwerk an und für sich einen unendlichen Werth habe: kann man mehr verlangen? Wenn nun aber das Publicum, dem es frei steht, dasselbe zu erwerben, den Kauf verweigert, so verringert sich sein innerer Werth nicht, aber sein Werth für den Umtausch, seine productive Nützlichkeit ist null. Zwischen dem Unendlichen und zwischen dem Nichts muß also der Lohn gesucht werden. Mit anderen Worten, nicht der innere, sondern der relative Werth ist zu bestimmen.
§45
Wie viel Nägel ist ein Paar Holzschuhe werth? Der simple Bauer antwortet: so viel, als man in derselben Zeit mit denselben Kosten verfertigen kann. Der absolute Werth einer Sache ist also, so viel sie Zeit und Auslage kostet.
§46
Um gewisse Producte zahlen zu können, muß die Gesellschaft um so zahlreicher sein, je seltener die Talente, je kostspieliger die Producte, je mannigfaltiger die Künste und Wissenschaften sind. Eine Gesellschaft von 50 Arbeitern kann einen Schulmeister, von 100 einen Schuster, von 150 einen Marschall, von 200 einen Schneider erhalten, die höchsten Verrichtungen werden nur in den stärksten Gesellschaften möglich. Hierin allein liegt die Auszeichnung der Capacitäten.
§47
Relativerweise ist das gegenseitige Verhältniß der Producenten gleich; das Talent, ein Product der Gesellschaft und der Gesellschaft seine Existenz schuldend, kann nicht materiell aufgewogen werden. Jede Vergleichung der Producenten unter einander, jede äußerliche Auszeichnung ist unmöglich.
§48
In der That ist jede Arbeit, die aus den Händen des Menschen hervorgeht, im Vergleich zu der rohen Masse, aus der sie gebildet ist, unschäßbar. In dieser Hinsicht ist der Abstand zwischen ein Paar Holzschuhen und einem Stück Holz eben so groß wie zwischen einer Statue des Scopas und einem Marmorblock. Ihr fordert eine verhältnißmäßige Vertheilung der Ehren und Güter für die Talente: schäßt mir erst das Talent eines Holzhackers ab und ich werde das Gleiche mit dem des Homer thun. Nur die Intelligenz kann die Intelligenz belohnen; wo es aber auf den Austausch der Producte ankommt, da kann das Maas nicht aus dem Genie und Talent genommen werden.
§49
Man glaube aber nicht, daß ich, indem ich mich auf die Freiheit der contrahirenden Theile berufe, in der Theilnahmlosigkeit der Masse ein Gegengewicht gegen das Talent finde. Nein, der Mann der Wissenschaft und des Talents muß sich gleich fühlen in der Gesellschaft, weil sein Talent und seine Einsicht nur ein Product der gesellschaftlichen Einsicht sind. Er ist sich selbst der Gesellschaft schuldig. Er muß überdies der Gesellschaft dankbar sein dafür, daß sie ihn, damit er der Wissenschaft obliegen könne, von den übrigen Arbeiten entbindet.
§50
Es giebt keinen Menschen, der nicht von dem Product mehrerer Millionen Industrieller lebte. Der Aufwand eines Jeden setzt also eine ganze Welt voraus; in gleichem Verhältniß setzt die Production eines Jeden die Production von Allen voraus. Eine isolirte Industrie ist eine Unmöglichkeit. Aus diesem unbestreitbaren Factum folgt, daß alle Privatproductionen gemeinsam sind, so, daß die Gesellschaft auf jedes Product, wenn es aus den Händen des Producenten hervorgeht, Beschlag legen darf. Und wie Alle ein gleiches Recht auf des Einen Production haben, so hat der Eine ein Recht auf die Production von Allen.“
§51
Das ist in aller Kürze die auf den Begriff der Arbeit gestützte Beweisführung Proudhons. Verkenne man seinen Grundgedanken nicht. Die Arbeit ist ihm ihrem Charakter nach etwas Gemeinsames, nichts Isolirtes, Privates. Proudhon hebt aber den gesellschaftlichen Character der Arbeit wieder auf, indem er ihr die Bezahlung, das Salair entgegenstellt. Er stellt den Saß auf, daß man, um leben zu können, arbeiten müsse, daß Homer z. B. für seine Gesänge der Käsefülle des Hirten nicht entbehren könne: so stellt er also wieder das private Wohlsein als Ziel der Arbeit hin, und so giebt er eben die Definition derjenigen Arbeit, welche die Gesellschaft schon organisirt hat. Der heutige Arbeiter denkt nur an sich, d. h. er läßt sich für seine Person bezahlen, er selber ist es, der die ungeheure und unmeßbare Kraft, welche aus seinem Zusammenwirken mit Andern entsteht, nicht in Anschlag bringt.
§52
Die Kategorie des Salairs steht bei Proudhon so, fest, daß er die Gesellschaft geradezu eine commerziale nennt. Sie wird ihm zu einer Gesellschaft von Arbeitern, die sich gegenseitig ihre Producte austauschen, alles, was der Mensch macht, wird in ihr nur von dem Gesichtspunkte der Zeit, der Arbeit und der Auslagen, die es gekostet, betrachtet.
§53
Aus den verschiedenen Kräften, die der Mensch heutzutage bei seinen Verrichtungen draufzuwenden hat, folgt die Ungleichheit der Menschen. Proudhon sorgt daher dafür, daß die Arbeit, die er als Hauptkategorie bestehen läßt, nicht auch in seiner Gesellschaft von Gleichen wiederum die Ungleichheit hervorbringe. Was thut er? Er beschränkt das Recht auf die Arbeit, während er kurz vorher dasselbe ein unbeschränktes genannt und während man doch annehmen sollte, daß man in seiner Arbeiter-Gesellschaft nicht gesellschaftlich d. h. nicht arbeitsam genug sein könne. Er stellt erstens den Grundsaß auf, daß die Gesellschaft sich um die Arbeit, welche Jemand zu viel macht, nicht zu kümmern habe; er, der nichts Privates will, sieht sich gezwungen, diese überflüssige Arbeit eine Privatarbeit zu nennen, welche nicht gegen die Productionen der Gesellschaft, sondern nur gegen eine andere Privatarbeit ausgetauscht werden könne; und zweitens, daß sie als Herrin über die Arbeit Jedem eine gleiche Aufgabe zu stellen habe. So wie in einer Druckerei, sagt er, die Arbeit, wenn sie knapp wird, ordentlich getheilt und Jeder, der seiner Geschicklichkeit wegen etwa mehr Arbeit in Anspruch nimmt, als ein Verräther verabscheut wird, so hätten auch die Gesezgeber dies Princip der gleich vertheilenden Gerechtigkeit in die Gesellschaft einführen sollen: dann wäre die Freiheit und Gleichheit schon lange auf unzerstörbaren Grundlagen erbaut, dann würde man sich nicht mehr über das Recht des Eigenthums und gesellschaftlicher Auszeichnungen streiten.“
§54
Proudhon zieht aus seinen eigenen Behauptungen die Consequenzen nicht. Obwohl er sagt, daß die Gesellschaft die Talente hervorbringe, obwohl man hieraus folgern muß, je gesellschaftlicher die Gesellschaft, desto häufiger die Talente: obwohl Proudhon in der Gesellschaft selber das Gegengewicht gegen die Anmaßung des Talents findet, glaubt er doch unsere Furcht vor dem plößlichen Ueberhandnehmen der Talente beschwichtigen zu müssen, springt er zur Natur als Schöpferin der Talente über und meint er: „die Natur, welche ebensogut lauter Platons, Virgils, Newtons, Cuviers schaffen könnte, als sie Ackerbauer und Hirten macht, will das doch nicht, indem sie die Zahl der Capacitäten gegen ihre Nothwendigkeit abwägt.“ Sollte er nicht vielmehr schließen, daß die gesellschaftliche Gesellschaft lauter und immer mehr Talente nicht blos schaffen könne, sondern auch müsse.
§55
Und wodurch wahrt sich die Gesellschaft weiter gegen das Talent? Dadurch, daß das Talent ja leben muß und des Hirten nicht entbehren kann. Was seine Besoldung angeht, so richtet die sich nach der „Zeit und nach den Ausgaben,“ die das Talent für seine Schöpfungen braucht. Die Kategorie der Besoldung zwingt Proudhon, nach einem Maaße zu greifen, welches den gemessenen Gegenstand gar nicht berührt. Auch er macht es wie jener Bauer, der den Werth des Wechsels ersetzt zu haben glaubt, wenn er den Papierwerth bezahlt. Wenn er einmal den Begriff des Salairs beibehält, wenn er einmal in der Gesellschaft eine Einrichtung sieht, die uns zu arbeiten giebt und uns dafür bezahlt, so kann er die Zeit um so weniger als Maas für diese Bezahlung annehmen, als er kurz vorher, dem Hugo Grotius beistimmend, durchführt, daß die Zeit in Beziehung auf die Geltung eines Gegenstandes gleichgiltig sei.
§56
Damit nun das Talent gezwungen werde, jenes Maas anzunehmen, mißbraucht Proudhon den Begriff des freien Handels und behauptet, der Gesellschaft und ihren einzelnen Mitgliedern, als allerseits freien, stehe ja das Recht zu, die Erzeugnisse des Talents zurückzuweisen. Hierdurch widerspricht er aber seiner Behauptung, daß die Arbeit, welche der Gesellschaftsmensch vor sich bringe, auch sogleich der Gesellschaft gehöre.
§57
Wie wenig durchgreifend übrigens Proudhon's scheinbar so scharfe Dialektik sei, geht daraus hervor, daß er aus dem Grundsatze, die Arbeit sei ein Grund des Eigenthums, zweierlei widersprechende Resultate zieht: 1) die Arbeit führe zur Gleichheit des Eigenthums 2) sie zerstöre das Eigenthum. Er hätte diese beiden Resultate zu einander in Beziehung setzen, er hätte sagen können, daß der an das Eigenthum gebrachte Begriff der Gleichheit dem Eigenthum seinen Charakter, nämlich die Ausschließlichkeit, die Distinction nehme und daß folglich die Gleichheit des Eigenthums einer Zerstörung desselben vollkommen entspreche. Da er aber das nicht thut, müssen wir seiner Kritik das Bewußtsein absprechen.
§58
Dem Beweise für die Unmöglichkeit des Eigenthums, welchen Proudhon daraus führt, daß die Menschheit sich besonders durch das Zinsen- und Profit-System und durch die Unverhältnißmäßigkeit der Consumtion zur Production aufzehre, fehlt das Gegenstück, die Aufweisung nämlich, wie das Eigenthum historisch möglich ist.
§59
Proudhon, von der Noth, von dem Bedürfniß der Menschheit ausgehend, weiß sich nicht anders zu helfen, als dadurch, daß er, die Kategorie der Noth und des Bedürfnisses zu einer absoluten erhebend, jeden Menschen sich als einen Arbeiter für sein und der Gesellschaft nothwendiges Bedürfniß denkt. Die Menschheit, die Gesellschaft erscheint ihm so als eine Verbrüderung, in welcher jedem seine gleiche Aufgabe gestellt, seine gleiche Besoldung zuertheilt wird. Die Noth, das Bedürfniß und die Arbeit dafür, die Proudhon als Hauptkategorien für seine Gesellschaft stehen läßt, halten aber auch die jetzige Gesellschaft zusammen, schufen das Eigenthum und die Anerkennung desselben, schufen das Tagelöhnern, ließen an der Arbeit den gesellschaftlichen Charakter zurücktreten.
§60
Proudhon beweist die Unmöglichkeit des Eigenthums daraus, daß der Arbeiter sein Product aus dem Lohn seiner Arbeit nicht wiederkaufen könne. Proudhon giebt nicht den erschöpfenden Grund hiefür an, indem er das Wesen des Capitals herbeiholt. Der Arbeiter kann sein Product nicht wiederkaufen, weil es stets ein gemeinschaftliches, er selbst aber Nichts als ein einzelner bezahlter Mensch ist.
§61
In seinem Vertrauen, daß die Institute des bestehenden Staates seinen Ansichten ein geneigtes Gehör schenken würden, ja daß sie nur auf seine Enthüllung der Wahrheit gewartet hätten, reichte Proudhon seine Schrift „was ist das Eigenthum“ der Academie von Besancon ein: „Wenn ich, sagt er in der Widmung an dieselbe, eine unumstößliche Wahrheit enthülle, die aber bisher aus Gründen, welche ich auseinandersetze, verkannt war; wenn ich durch eine untrügliche Methode das Dogma von der Gleichheit der Umstände feststelle; wenn ich das Princip des bürgerlichen Rechtes, das Wesen des Gerechten und die Form der Gesellschaft bestimme, wenn ich für immer das Eigenthum vernichte; so fällt auf Sie, meine Herren, der ganze Ruhm davon zurück, so verdanke ich Alles nur Ihrer Hilfe, Ihren Eingebungen. Möchten Sie, meine Herren, die Gleichheit so wollen, wie ich sie selbst will, möchten Sie, zur ewigen Ehre meines Vaterlandes, ihre Verkünder und Herolde sein.“
§62
Aber die Academie schrak vor jener Ehre und vor diesem Wunsche zurück. Sie hielt es zur Aufrechterhaltung „ihrer Würde“ für nöthig, öffentlich die Verantwortlichkeit für Proudhons „antisociale Lehren“ von sich zu weisen; sie desavouirte und verdammte Proudhon's Schrift und ließ ihm zu wissen zu thun, daß er aus einer zweiten Auflage seiner Schrift die Dedication weglassen solle.
§63
Der ersten Schrift über das Eigenthum ließ Proudhon bald eine zweite folgen: „Brief an Blanqui“ betitelt.
§64
In dieser, so wie in seiner zwei Jahre später erschienenen Schrift „Von der Gründung der Ordnung in der Menschheit oder Grundzüge politischer Organisation“ ist seine Redeweise ebner als in der Schrift über das Eigenthum, in der wir eine Masse Ausrufungen und Uebertriebenheiten finden: die Ausdrücke, welche zu sehr den Kampf mit seinem Gegenstande durchblicken ließen, sind weggefallen. Er glaubt eben erkannt zu haben und in seiner Erkenntniß ruhig sein zu können; um den Haß loszuwerden, sagt er schon in seiner Zuschrift an die Academie, reichte das Erkennen hin.“ Und doch, wir müssen ihm auch jetzt noch die Ruhe des Erkennens absprechen, da er nur die Ruhe der Geduld erlangt hat. Er findet die Ruhe des Kritikers darin, daß er weiß, es wird mit der Zeit Alles anders werden, gleich als wenn ein Richter nur dann die gehörige Seelenruhe bewahrte, wenn er dem zum Tode verdammten Verbrecher den allmätigen Tod aus Altersschwäche zudictirte. „Du schreist nach dem Martyrium, sagt er zum Abbe Constant, und es giebt doch kein anderes Martyrium als das der Geduld.“
§65
Diese Art geduldiger Ruhe ist es, welche ihn antreibt, sein Princip und Anknüpfungspunkte für dasselbe in dem Bestehenden wiederzufinden, mit anderen Worten, sein Princip mit dem Bestehenden zu versöhnen. Wir nehmen einige Stellen aus dem „Brief an Blanqui,“ um zu zeigen, wie wenig er seine Stellung zur Gesellschaft durchdacht hat. Proudhon weiß, was er von der lesenden Menge zu halten, was er von ihr zu erwarten habe; „wehe dem Schriftsteller, sagt er, für den die Veröffentlichung der Wahrheit etwas anderes ist als die Erfüllung einer Pflicht! Hat er auf den Anhang der Masse gerechnet, hat er geglaubt, daß Habsucht und Eigenliebe sich selbst vergessen und ihn bewundern würden, hat er sein Selbstbewußtsein nicht mit dreifachem Erz gepanzert, so wird er unterliegen.“ Er findet, daß der Geist des Eigenthums, gegen den er sich richtet, nicht einen Theil, sondern die ganze Gesellschaft durchzieht. „Der Millionär, sagt er, ist nicht mehr vom Eigenthum angesteckt „als der Tagelöhner für dreißig Kreuzer des Tages: Meinung und Wille sind auf beiden Seiten gleich; auch die Wirkung ist dieselbe, nur daß sie bei dem einen positiv, bei dem andern negativ ist.“ „Ihr seid, redet er die Proletarier an, ihr seid wirklich Menschen niederen Schlages, denn die Kraft und der Wille fehlen euch; ihr seid vielleicht zur Arbeit und zum Kampfe geschickt, für die Freiheit aber und für die Gleichheit habt ihr weder Muth noch Charakter.“ „Alle Welt, sagt er bald darauf, alle Welt ist heute schuldig; mit der That, mit dem Beispiel hat alle Welt gefehlt, der König selber ist, wie seine Vorgänger, nichts als eine versonificirte Idee.“ „Das Princip des Eigenthums beherrsche unser ganzes Leben: wie bei einem Volke das Eigenthum eingerichtet war, so war auch stets die Familie, die Ehe, die Organisation des Heeres und der Verwaltung, die Gesetzgebung und die Gerichtsordnung.“ „Die Freiheit von 89 genügt nicht mehr.“
§66
Neben diese Aussprüche stellen wir folgende:
„Man muß die Gesetze nicht verlegen, sondern restauriren.“ Man muß den Proletarier „rehabilitiren.“ „Um die Constitution und das Gesetz zu ändern, muß man sich auf den Boden der Constitution und des Gesetzes stellen.“ „Man muß in den höchsten Kreisen der Gesellschaft Genossen suchen.“ „Man müßte sich an die Eigenliebe der Hohen wenden und etwa eine Petition folgenden Inhalts dem Minister des Innern überreichen: Herr Minister! An dem Tage, wo der Moniteur eine Königliche Ordonnanz über die Einrichtung von National-Muster-Werkstätten bringt, werden die unterzeichneten Zehntausend sich vor das Schloß der Tuillerien begeben und aus voller Brust rufen: es lebe Ludwig Philipp! An dem Tage, wo der Moniteur die Nachricht bringen wird, daß gegenwärtige Petition verworfen sei, werden die Unterzeichneten Zehntausend im Innern ihres Herzens sagen: nieder mit Ludwig Philipp! Das Vergnügen einer Volkshuldigung würde das Opfer einiger Millionen aufwiegen, und dann würde ich im Namen des Volkes gern zum Könige sprechen: Hören Sie, was das Volk Ew. Majestät sagen läßt: O König, Du siehst, was es kostet, den Beifall der Bürger zu erndten; sollen wir von jezt an den Wahlspruch annehmen: Helfen wir dem Könige, der König wird uns helfen? Klingt es nicht schön in Deinen Ohren, wenn die ganze Welt sagt: der König und das Volk von Frankreich? Laß also diese habsüchtigen Banquiers, diese wortklauberischen Advocaten, diese geistlosen Bürger, diese ehrlosen Schriftsteller, diese gebrandmarkten Adligen; alle diese Leute haffen Dich und halten Dich nur noch, weil sie uns fürchten. Vollende das Werk unserer Könige, vernichte die Aristokratie und das Privilegium, mach gemeinsame Sache mit diesen treuen Proletariern, mit dem Volke, welches allein einen Souverän ehren und aus freier Seele rufen kann: es lebe der König.“
§67
„Ich bin für die Philosophie des Bestehenden; statt zu zerstören, was einmal existirt, und die Vergangenheit von vorn anzufangen, will ich, daß man Alles gefeßlich mache, indem man es ändert. Ich fordere auf der einen Seite, daß man die Eigenthume läßt, wie sie sind, daß man aber stufenweise bis zum allmäligen Verlöschen die Interessen aller Capitale herabseßt; auf der anderen Seite, daß die Verfassung, so wie sie ist, aufrecht erhalten werde, daß man aber die Methode in die Verwaltung und in die Politik einführe.“
§68
Noch folgende Stellen aus der Schrift : „den Eigenthümern zur Warnung.“
§69
„Wenn ich die Journale lese, wenn ich eine Revue aufschlage, wenn ich eine Broschüre von einem unserer Politiker durchblättere, so stoße ich immer gleich auf jenen Ruf andächtiger Empörung über die „falschen Doctrinen,“ die „auflösenden Doctrinen,“ die „abscheulichen Doctrinen,“ welche das Volk verführen und der Gesellschaft Gefahr drohen. Weshalb stellt man denn diesen verkehrten Lehren nicht bessere gegenüber? Hat denn die Regierungswahrheit keine Apostel mehr? Sind die wohlmeinenden Leute schlecht bezahlt? Gegen alle neuen Lehren hat man Flüche und Schimpfworte, aber keine Gründe. Warum verschmähen es die Priester der mit dem Sturz bedrohten Religionen, die Verkündiger der reinen Sittlichkeit, der gesunden Philosophie, des unvergänglichen Rechtes, warum verschmähen sie es, zu uns in den Kampfplatz herabzusteigen und mit uns zu streiten für das Heil des Volkes? Ich suche unter den zahlreichen Kategorieen der offiziellen Schaar, ich steige die hierarchische Leiter der Corporationen und Angestellten auf und nieder; überall finde ich Menschen, die essen und schwadroniren, nirgens Einen, der überlegt und denkt. Wer in der That ist es denn, der arbeitet, daß das Volk denken lerne und daß das Chaos der socialen und philosophischen Wissenschaften sich entwirre? Sind es unsere Philosophen, unsere Priester, unsere Magistrate, unsere Academiker, unsere Journalisten, unsere Deputirten, unsere Regierungen? Dabei sehe man nur, wie die Sorglosigkeit unserer guten Bürger von Tag zu Tage wächst, immer üppiger wird. „Nur keine Furcht“, sagen sie, „nur keine Furcht; die Socialisten sind lächerlich, die Communisten verächtlich, die Egalisten unmöglich, die letzten Saint-Simonisten werden auch bald den Stab über sich brechen, indem sie sich mit der großen Hure verbinden. Tod den Revolutionären, mögen die Besiegten elendiglich verkommen.“ Und du glaubst noch, es könne ein Funken des heiligen Feuers in diese vermoderten und wurmstichigen Herzen dringen? Es hilft dir gar nichts, wenn du sagst, du wollest Alles bewahren, indem du Alles erneuerst. So macht man keine Revolution.“
§70
In diesen leßten Worten scheint die Meinung sich auszusprechen, daß Proudhon eine Revolution wolle, daß er auf keiner Seite der gegenwärtigen Gesellschaft einen Anknüpfungspunkt für seine Theorien finde. Ein Fourieristischer Gegner hatte einen solchen Grundgedanken in seinen Schriften gefunden und daraus den Vorwurf abgeleitet, er sei nicht „praktisch.“ „Es scheint uns über allen Zweifel erhaben zu sein,“ hatte dieser Gegner gesagt, „daß jeder Philosoph, welcher an einer besseren Organisation arbeitet, die Materialien dazu in der gegenwärtigen Gesellschaft finden muß und daß das Eigenthum das unumgänglichste unter diesen Materialien ist. Wir wollen gern zugeben, daß die Gesellschaft einer Aufhebung des Eigenthums entgegengeht: doch erlaube man uns dabei zu bemerken, daß das Ende dieses Weges noch ein Paar Jahrhunderte von uns liegt und daß diese Aussicht auf viele Jahre nichts in der gegenwärtigen Lage des Menschen und der Dinge ändern wird.“
§71
Proudhon kann diesen Vorwurf, daß er unpraktisch sei, nicht verschmerzen: er schildert, wie die bisherigen Systeme der Oekonomisten, der Fourieristen, der Saint-Simonisten, alle auf eine Verwaltung statt einer Regierung, auf die Gleichheit hindeuten, daß man der Bewegung, welche in das Eigenthum selber eingetreten, ihren ruhigen Verlauf lassen müsse, damit sie in Frieden bei der Gleichheit anlange, daß die Eigenthums-Periode nur eine Zeit des Uebergangs in der Organisation der Gesellschaft sei. „Das Eigenthum ist nicht ewig,“ sagt er; „wenn man einmal einen Widerspruch finden will, so sehe man ihn bei meinem Gegner, der das Eigenthum für absolut erklärt und dann doch zugiebt, daß es im Laufe der Zeit verschwinden könne. Ja, das Eigenthum war gefeßlich; aber nur, weil es Vorbereitung zur Ordnung, nicht, weil es die Ordnung selber ist: ihm, der ersten Anstrengung der Natur, den Charakter der Vollendung beilegen, hieße die Wallungen des Chaos verewigen. So finde ich eben in dem Eigenthume ein Mittel zum Uebergang und zur Organisation.“
§72
Endlich langt er bei einem praktischen Resultate an, er sagt: „Es ist ein System absoluter Gleichheit zu finden, in welchem alle gegenwärtigen Institutionen, weniger das Eigenthum oder die Summe der Mißbräuche des Eigenthums, nicht allein eine Stelle finden können, sondern selber Mittel zur richtlichen Organisation, Einheit und Ganzheit des Unterrichts, Ehe, Familie, Erbschaft in gerader und Seitenlinie, Rechte des Verkaufs und Tausches, Recht ein Testament zu machen, ja Recht der Erstgeburt; ein System, welches besser, als das Eigenthum, die Bildung der Capitale sichert und die allgemeine Nacheiferung wach erhält, welches von einem höheren Standpunkte die Associationstheorien von Plato bis auf Fourier entwickelt, verbessert, vervollständigt; ein System endlich, welches unmittelbar anwendbar ist, weil es sich selber zum Uebergangsmittel dient. Nun sage man mir noch, daß ich die Voraussetzungen der Natur und der Gesellschaft außer Acht lasse.“
§73
Das Eigenthum ist nach Proudhon die Seele der bestehenden Verhältnisse, ist Stütze der Ehe, des Familienlebens, der individuellen Freiheit, diese Seele will er tödten und die Hülle stehen lassen.
§74
„Die Haupteinrichtungen der Gesellschaft müssen bleiben, es muß doch einen Vorstand geben, eine Gesetzgebung, einen Magiftrat: und nur eine kleine Aenderung soll für den neuen Zustand der Dinge gemacht werden.“ Obwohl nämlich Proudhon gegen das Ende seiner Schrift sagt: „Jede Regierung will sich aufrecht erhalten und hält sich für legitim, sie wird stets dem Fortschritte ihre ganze Macht entgegensetzen;“ obwohl er in einer Polemik gegen den National den Satz aufstellt, daß ein einmal gewählter Monarch sich nicht dazu verstehen wird, wieder abzudanken: schlägt er einige Seiten früher vor, daß, statt wie jeßt die geseßgebende Gewalt zu wählen und die königliche für erblich zu erklären, in seinem neuen Zustande die Magistrate, Senatoren, Offiziere, der König, Präsident oder die Directoren („wir haben für keine Regierungsform eine Vorliebe“) gewählt werden müßten. Alle Bestrebungen Proudhons gelten einem Zustande der Gleichheit, in welchem es weder Hohe noch Niedere gebe; und doch begründet er jene seine Meinung über die Wahl der Vorstände damit, daß dieselben als „Obere“ doch ohne den Respect, den Gehorsam und die Liebe der Unteren nicht ersprießlich wirken könnten; diesen Respect u. s. w. erwerbe man nicht durch Ueberzeugung, vielmehr offenbare sich nur durch die meisten Stimmen das Vorhandensein desselben. Mit diesen letzteren Deductionen nähert sich Proudhon dem Räsonnement der Politiker: und wie jeder Politiker national ist, patriotisch, so erklärt sich auch Proudhon für einen Patrioten. „Die Hingebung für eine Idee muß der Hingebung für das Vaterland nachstehen,“ sagt er. Er weiß es also nicht, daß eine Kritik des Eigenthums der menschlichen Gesellschaft überhaupt sich nicht in die Grenzen eines Vaterlandes einschließen läßt.